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29.04.2005

 
04:30 Uhr. Der Wecker holt mich aus meinem Dämmerzustand. Geschlafen habe ich nicht gut. Ich bin zu nervös. Wie kommt der Lotse zu uns an Bord? Wir sind die einzigen, die nicht am Quai des Yachtclubs liegen. Ich sitze im Cockpit und beobachte die Segelschiffe. MeNeVado und HARLEKIN setzen sich in Bewegung. Werden wir einfach vergessen? Nein, die HARLEKIN löst unser Problem. Sie haben unseren Pilot an Bord und bringen ihn uns vorbei. Ein Mann in gesetzterem Alter steigt zu uns über. "Please lift the anchor!" Es ist bekannt, dass die Lotsen stets zur Eile drängen.
Der Motor läuft. Susan holt den Anker ein. "Fischernetz am Anker" ruft sie plötzlich. Wir hängen fest. Schnell holt sie das Brotmesser und gemeinsam befreien wir uns vom ungewollten Fang. Leider war kein Fisch mit dabei.
Jetzt kann es losgehen und wir folgen dem Kielwasser der HARLEKIN. Unser Lotse heiss Mohammed (wie wahrscheinlich die Hälfte der Ägypter). Er will das Ruder von PANGAEA übernehmen. Ich bin mir unsicher, ob ich gewähren soll, doch er besteht darauf. Versuchen wir es. Ohne Hast greift er sich das Steuer und mit Feingefühl steuert er unsere alte Lady. Er nimmt bereits die ersten Abkürzungen, um den Kanal in den Norden zu erreichen. Er hat seine Sache im Griff und auch das Steuern von PANGAEA macht ihm keine Schwierigkeiten. Ungewohnt ist es trotzdem für mich. Fünf Segelschiffe passieren heute den Nordteil des Kanals. Jedes hat seinen eigenen Pilot an Bord und jedes Schiff fährt somit seine eigene Geschwindigkeit.
Unser Motor läuft auf seinen hohen 2300 Umdrehungen pro Minute. Er wird diese Drehzahl bis Port Said ertragen müssen. Die Landschaft im Morgendunst zieht vorbei. Häuser, Eisenbahnbrücken, militärische Überresten und jede Menge Fischerboote. Es ist erstaunlich, die Menschen fischen mitten im Kanal. Ihre Boote bewegen sie nur mit Paddeln und sogar ein grosses, sich näherndes Container Schiff bringt sie nicht aus der Ruhe. Schnell queren sie vor dem Bug des Riesen den Kanal. Mir stockt der Atem.
Ich brauche mir um PANGAEA keine Sorgen zu machen. Mohammed steuert sie sicher. Normalerweise sei er auf einem der grossen Schlepper als Kapitän unterwegs. Er kennt den Kanal also sehr genau. Ich kann mich anderen Aufgaben widmen, schreibe Emails und bewundere die Umgebung des Kanals.
Lautes Brummen ist zu vernehmen. Das muss ein schnelles Schiff sein, welches sich uns nähert. Doch vor und hinter uns ist kein Boot im Kanal zu sehen. Suchend schaue ich mich um. An Land braust eine Diesellok mit diversen Wagen im Schlepptau heran. Ob dieser Zug zum Bahnhof von Ismailia fährt? Woher kommt er wohl?
Bewaffnete Militärposten sind auch auf diesem Abschnitt des Suezkanal noch und noch anzutreffen. Wir sind be- und überwacht. Die Geschichte des Kanals zeigt, dass es immer wieder Kontroversen um den Kanal gegeben hat und eine Militärpräsens ist somit verständlich.
1858 wurde die Suez-Gesellschaft gegründet und erhielt die Befugnis zur Anlage eines Kanals sowie eine Konzession für 99 Jahre. Nach Ablauf dieser Zeit sollten die Eigentumsrechte an die ägyptische Regierung zurückgehen. Die Gesellschaft war ursprünglich ein privates ägyptisches Unternehmen, dessen Kapital in erster Linie aus französischen und ägyptischen Quellen stammte. 1875 erwarb die britische Regierung die ägyptischen Anteile.
Die 1888 unterzeichnete völkerrechtliche Regelung garantierte die freie Durchfahrt für Schiffe aller Nationen in Kriegs- und Friedenszeiten. Grossbritannien betrachtete aber den Kanal als lebenswichtig für die Aufrechterhaltung seiner Seemacht und Kolonialinteressen, vor allem für die Verbindung nach Indien. Durch die Bestimmungen des anglo-ägyptischen Vertrags von 1936 erwarb Grossbritannien das Recht, Streitkräfte in der Suezkanalzone zu stationieren und übernahm damit die Kontrolle über die Kanalzugänge. Nach der Gründung des israelischen Staates in Palästina 1948 untersagte die ägyptische Regierung Schiffen von und nach Israel die meiste Zeit die Durchfahrt.
Ägyptische Nationalisten verlangten wiederholt, dass Grossbritannien die Suezkanalzone verlassen solle. 1954 unterzeichneten die beiden Länder schliesslich einen Vertrag mit siebenjähriger Laufzeit, der das Abkommen von 1936 ersetzte und den allmählichen Rückzug aller britischen Truppen aus der Kanalzone beinhaltete, was bis zum Juni 1956 geschehen war. Ägypten übernahm die britischen Anlagen.
Am 26. Juli 1956, kurz nachdem die Vereinigten Staaten und Grossbritannien ihr Angebot auf eine Finanzierungshilfe für den Bau des Assuan-Staudammes zurückgezogen hatten, übernahm die ägyptische Regierung gemäss einer von Präsident Nasser erlassenen Nationalisierungsverordnung den Suezkanal. Nasser erklärte die Absicht Ägyptens, die Einnahmen aus der Betreibung des Kanals zur Finanzierung des Staudammes zu verwenden. Am 29. Oktober 1956 fiel Israel in Ägypten ein. Zwei Tage später griffen britische und französische Militäreinheiten Ägypten an, um die freie Durchfahrt durch den Kanal zu sichern. Als Vergeltungsmassnahme liess Ägypten 40 Schiffe versenken und erreichte damit eine Blockade des Kanals. Durch die Intervention der Vereinten Nationen wurde im November ein Waffenstillstand vereinbart. Zum Jahresende wurden die israelischen, französischen und britischen Truppen aus dem Gebiet abgezogen. Nach der Hebung der versenkten Schiffe durch eine Bergungsmannschaft der UN öffnete die ägyptische Regierung im März 1957 den Kanal erneut der Schiffahrt. 1958 einigten sich Ägypten und die verstaatlichte Kanalgesellschaft über die Bedingungen eines finanziellen Ausgleichs für den Kanal. 1962 erfolgten die letzten Zahlungen an die ursprünglichen Teilhaber.
Der Suezkanal spielte während der sechziger und siebziger Jahre in den Konflikten zwischen Ägypten und Israel weiterhin eine wichtige Rolle. Im Sechstagekrieg von 1967, als mehrere Schiffe im Kanal versenkt wurden und somit die Fahrrinnen blockierten, wurde er geschlossen. Nach der Beseitigung der Schiffe durch internationale Sondereinheiten wurde er im Juni 1975 wieder geöffnet. Am Ende des gleichen Jahres gestattete Ägypten die Durchfahrt von nichtmilitärischen Gütern von und nach Israel. Die uneingeschränkte Nutzung des Suezkanals wurde den Israelis im Friedensvertrag mit Ägypten 1979 zugesichert.
Schemenhaft taucht eine riesige Hängebrücke auf. Sie überspannt den Kanal und eine weite Strecke auf beiden Seiten. Gemäss Seekarte beträgt die vertikale Durchfahrtshöhe 68 Meter. Sollte für unseren 15 Meter hohen Hauptmast also kein Problem darstellen. Die duzenden Drahtseilen sehen wie ein riesiges Spinnennetz aus. Ein Blick nach oben und… kratzt der Windanzeiger nicht an der Unterseite der Brücke?
Die letzten Meilen sind lang. Doch endlich kommen die Häuser von Port Said in Sicht. Unser Lotse sollte nun jeden Moment abgeholt werden. Wir haben den Sitten und Gebräuchen des Suezkanal entsprechend ein "Geschenk" für den Pilot bereit gemacht. In einem grossen, farbigen Sack stehen ein paar Kleinigkeiten und in einem Umschlag das Trinkgeld von 9 US$ bereit. Das Lotsenboot braust auf uns zu. "Is that for me?" fragt Mohammed und zeigt auf den Sack. Diese Erwartungshaltung "Ich muss ein Geschenk bekommen", befremdet mich.
Ein grosses Schiff, das uns soeben passiert hat, verursacht hohen Wellen. Das Lotsenboot muss es extrem eilig haben, denn es kann nicht warten, bis die Wellen sich gelegt haben. Seine Steuerbordseite ist mit grossen Autoreifen gepolstert. Unsanft kommt er längsseits. Zum Glück ist unser Schiff aus Stahl. Mohammed springt hinüber und das Erste ist ein Blick in die Tüte…
Wir haben nichts gegen die Regelung, einen Lotsen an Bord nehmen zu müssen. Wir haben aber Mühe damit, was von den Lotsen als selbstverständlich angenommen wird: Freie Verpflegung, Trinkgeld und Geschenk. Viele der Lotsen fragen bereits zu Beginn ihrer Fahrt nach ihrem Geschenk. Man stelle sich einmal den Handwerker vor, der vor dem Mittag ins Haus kommt, seine Arbeit beginnt, sich wie selbstverständlich an den Mittagstisch setzt und nach Beenden der Arbeit noch ein Trinkgeld fordert…
Andere Länder, andere Sitten. Wir sind frei. Noch müssen wir durch die Reede von Port Said. Die Geschäftigkeit ist enorm. Kurz vor der letzten Tonne des Fahrwassers begrüssen uns ein paar Delphine. WILLKOMMEN IM MITTELMEER!
 
fahrender Gigant
 
Begleiter
 
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Brücke und Fähre
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
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