Logbuch SY PANGAEA / North New Zealand
 
Tauranga

23.12.2003 - 10.05.2004

 
Eine einzige, grosse Kerze steht auf dem Salontisch. Daneben glänzt in silbrigem Papier ein grosses Päckli. Ist schon Weihnachten? Nein, heute ist der 1. Geburtstag von Sina Debora. Vor einem Jahr hat uns die kleine Dame mitten in der Nacht vom Schiff an Land getrieben. Jetzt sitzt sie stolz am Tisch und verteidigt vehement ihr Geburtstagsgeschenk. In solchen Momenten sind die grossen Mädels ganz nahe bei ihrer Schwester und bieten ihre Hilfe an. Schnell sind die bunten Bändel und das Geschenkpapier entfernt. Zum Vorschein kommen Flöcklipackungen mit verschiedenstem Inhalt. „Sina, dörf ich au eis ha?" Keine Frage, was es zum Frühstück gibt.
Die Strömung an unserem Ankerplatz ist beachtlich und PANGAEA steht quer zur Windrichtung. Zur Zeit fliesst das Wasser aus dem Hafen aufs Meer hinaus. Ein günstiger Augenblick also, mit unserem Dingi und lediglich einem Paddel an Land zu kommen. Wir haben in einiger Entfernung, am Fuss des Mount Maunganui, einen Steg mit einem kleinen Strand ausgemacht. Dort wollen wir hin. Wir suchen uns einen Weg durch das Bojenfeld und erreichen glücklich den Steg. Eine ganz Schar Angler, vom kleinen Mädchen bis zum gestandenen Grossvater, stehen dort und halten ihre Ruten ins Wasser.
Spaziergänger und Jogger laufen auf der Strasse am Steg vorbei. Eine grosse Infotafel zeigt die verschiedensten Wanderwege am Mount Maunganui auf. Den Hügel sparen wir uns für später auf. Uns zieht es in Richtung Stadt.
Der Mount Maunganui ist fast kreisrund und bildet das Ende einer langgezogenen Halbinsel. Dreiviertel von seinem Fuss wird vom Meer umspült. Auf der Landseite schmiegt sich ein riesiger Campingplatz an seinen Abhang. Jeder Platz ist mit einem Caravan oder einem Zelt belegt. Es ist Sommerzeit und über Weihnachten sind die grossen Ferien. Am Rand des Campingplatzes entdecken wir ein Freibad welches mit Salzwasser aus heissen Quellen gespeist wird.
An der Aussenseite der Halbinsel erstreckt sich ein fast unendlich langer Sandstrand. Auf der Hafenseite liegt die Pilot Bay, wo PANGAEA vor Anker liegt. Auch hier hat es einen kleinen Sandstrand. Im Anschluss an die Bay sehen wir den kommerziellen Hafen und in der Ferne eine langgezogene Brücke.
Unmittelbar nach dem Campingplatz reiht sich ein Apartmenthaus an das nächste. Diese Gegend scheint nur aus Ferienwohnungen zu bestehen. Die „Apartmentstrasse" führt an einem einladend, grünen Park vorbei und geht über in eine Einkaufsstrasse. Boutiquen, Restaurants und Souvenirläden dominieren. Einen richtigen, grossen Supermarkt suchen wir vergeblich.
Gespannt sehen wir unserer ersten Begegnung mit meinen Verwandten June und Sig entgegen. Wir nähern uns dem Treffpunkt. Uns fällt eine Dame auf, die angestrengt auf das Bojenfeld blickt. Und siehe da, es ist June, die nach unserem Schiff Ausschau hält und uns nun aufs herzlichste begrüsst. Kurz darauf stösst auch Sig zu uns. Wir machen es uns auf einer Bank am Strand bequem und die beiden überreichen uns einen riesigen Sack mit Post! Schnell sind wir ins Gespräch vertieft und wir spüren, dass uns die Zwei am liebsten sofort zu sich nach Hause mitnehmen würden. Doch halt! Zuerst wollen wir sicher sein, dass PANGAEA an einem sicheren Ort liegt und wir müssen unsere Sachen für einen Landausflug packen.
Sig fährt mich mit dem Auto in die Bridge Marina. Auf der einen Seite würde ich PANGAEA gerne hier in eine Box stellen. Auf der anderen Seite könnten wir die Annehmlichkeiten der Marina gar nicht geniessen, da wir ja nicht an Bord wären. Die Entscheidung ist nach dem Besuch des Marinabüros schnell gefällt: Wir werden einen zweiten Anker setzen und unser Schiff in der Pilot Bay vor Anker lassen. Gemäss Hafenbehörden ist das problemlos möglich.
 
Der Zusatzanker ist gesetzt. Alles Material für einen mehrtägigen Ausflug einer fünfköpfigen Familie ist gepackt. Zwei Klappfahrräder und ein Veloanhänger sind an Land und dort zusammengebaut. Alle Luken sind dicht verschlossen und der Niedergang abgeschlossen. Die Kinder stehen im Regenanzug und mit angezogener Schwimmweste auf der Badeplattform bereit. Vom Himmel fallen die ersten grossen Regentropfen… Das Dingi liegt tief im Wasser, als wir alle drin sitzen und unser Gepäck mit einer Plane zudecken. Die Himmelsschleusen öffnen sich immer mehr. Trotz Regenschutz sind wir völlig durchnässt, als wir am Ufer ankommen und das Dingi auf den Strand ziehen. Unser Material verstauen wir im Leggero. Im Moment ist alles noch relativ trocken. Platz für ein Kind hat es im Veloanhänger keinen mehr. Jetzt müssen wir den unbekannten, über zehn Kilometer langen Weg zu June und Sig unter die Räder nehmen.
Wir kommen bis zur Telefonkabine bei den Hot Water Pools. Auf dem kurzen Weg haben wir uns entschlossen, Sig um eine Transporthilfe anzufragen. Eine halbe Stunde später fährt er bei den Pools vor. Wir leeren den Veloanhänger so weit, dass Anina darin Platz findet. Susan, Noemi, Sina und der grösste Teil des Gepäcks verschwinden im Auto. Ich schwinge mich auf den Sattel und starte die erste Durchquerung von Tauranga.
Nach der Appartementgegend beim Mount folgt das riesige Hafengelände mit grossen Lagerhallen, Silos, Treibstofftanks und Containern. Über die Feiertagen sind zum Glück nur wenige Lastwagen unterwegs. Von diesen wird es hier sonst sicher wimmeln. Die breite Strasse bietet viel Platz und auf dem flachen Terrain ist es angenehm zu fahren. Der Regen hat ebenfalls ein wenig nach gelassen. Drei grosse, zweispurige Kreisel gilt es zu überqueren. Nur gut, hat der Leggero eine so auffällige Farbe. Die Automobilisten können mich kaum übersehen.
Die breite Strasse wird immer schmaler, bis nur noch zwei normale Fahrspuren vorhanden sind. Ein Veloweg führt der stark befahrenen Strasse entlang. Immer wieder versperren Pfosten den Weg. Der Leggero passt genau zwischen durch. Jetzt beginnt die Harbor Bridge. Der Velogehweg wird so schmal, dass ich mit dem Anhänger nicht mehr fahren kann. Entweder würde ich am Geländer hängen bleiben oder über den hohen Randstein auf die Fahrbahn fallen. Ich schiebe mein Gespann. Anina ist eingeschlafen, trotz dem immensen Autolärm. Nach der Harbor Bridge beginnt das eigentliche Tauranga. Das Gebiet Mount Maunganui ist ein Aussenbezirk der Stadt.
Nach überqueren der Brücke wäre der Expressway der kürzeste Weg. Der Expressway sieht aus wie eine Schweizer Autobahn: Zwei Spuren in jede Fahrrichtung, Mittelleitplanken und Pannenstreifen. Auf diese Autobahn wage ich mich nicht. Ich wähle den Weg durch die Wohnquartiere. Auf der Landkarte sieht jede Gegend flach und velofreundlich aus. Doch die Wirklichkeit sieht meistens anders aus. Fünf Berg- und Talfahrten später biege ich endlich in den Tekoah Place ein. Welche Nummer war es doch gleich? Ich kann mich nicht erinnern und die Adresse steckt im Gepäck, welches ich ins Auto verladen habe… Irgendwann höre ich Kinderlachen und weiss wo ich hin muss.
June und Sig wohnen in einem schönen, zweistöckigen Haus. Der Rasen und die Pflanzen um das Haus sind gepflegt und nirgends liegt etwas herum. Ich parkiere mein Gespann in der riesigen Garage. Mir springt sogleich die perfekte Ordnung ins Auge. Alles ist bis ins kleinste Detail organisiert. Jedes Werkzeug an der Wand hat seinen genau bestimmten Platz. Werden wir uns hier wohl fühlen? Müssen wir unsere Kinder nicht ständig im Auge behalten, damit sie keine Unordnung anrichten oder etwas beschädigen?
Die anfänglichen Bedenken verfliegen. Wir erfahren, dass June acht Enkelkinder hat, die immer wieder in ihrem Haus einige Tage Ferien verbringen. Unter der Treppe ist ein kleiner Abstellraum zu finden, der voll mit Spielsachen und Bilderbüchern ist. Unsere Kinder sind im Element. Sie geniessen es, unendlich viel Platz zu haben und jeden Bauernhof oder Verkäuferliladen an seinem Platz stehen lassen zu dürfen. Morgen ist ein neuer Tag und dann kann das Spiel einfach weiter gehen.
Auch Mama und Papa beginnen sich zu entspannen. Wenn da nur nicht die starken Gezeitenströmungen im Hafen wären und das laute Pfeifen des Windes im Schwedenofenkamin. Vor fast einem Jahr haben wir das letzte Mal nicht auf PANGAEA übernachtet. Bei unserer Big Island Rundfahrt, zusammen mit Grosi und Grosätti, liessen wir unser Schiff, an einem grossen Betonklotz hängend, in der Kailua Bay zurück. Jetzt hängt PANGAEA an ihrem eigenen Anker.
Es ist Heilig Abend. Wie wird Weihnachten in New Zealand, im Sommer gefeiert? Werden Geschenke ausgetauscht? Trifft man sich im Familienkreis? Steht ein Tannenbaum in jeder Stube? Wir versuchen uns eine Neuseeländische Familie vorzustellen.
Von einer Vorweihnachtszeit haben wir wenig gesehen und gespürt. Auch bei June und Sig im Haus finden wir keine grossen Anzeichen für das bevorstehende Fest. Sie erklären uns, dass Weihnachten in New Zealand nicht so gefeiert wird wie in der Schweiz. Da die grossen Sommerferien über die Festtage dauern, sind viele Kiwis unterwegs. Entsprechend wird Weihnachten nicht im Familienkreis gefeiert.
Schade, wir haben uns auf ein gemütliches Fest bei Kerzenlicht und Liedern gefreut. Kurz entschlossen entscheiden wir, trotzdem eine kleine Feier im Wohnzimmer zu veranstalten. June und Sig setzen sich auch zu uns. Wir erzählen den Kindern die Weihnachtsgeschichte und singen ein paar Lieder. Die Kinderaugen sind natürlich auf die paar Geschenke gerichtet, die Mama und Papa auf einem kleinen Tischchen bereitgelegt haben. Auch vom Gotti und Götti aus der fernen Schweiz ist ein Päckli dabei. Noemi bekommt ein neues Outfit mit einer schönen Halskette vom Gotti und Anina erhält ein neues Underfit mit Herzli BH und Slip. Ihre Augen leuchten und strahlen. Das hat sie sich schon so lange gewünscht und war immer neidisch auf Mama, wenn diese einen BH angezogen hat. Tja, die Mädels werden grösser…
Was ist der grösste Wunsch von Susan? Schauen wir mal ins Badezimmer, nachdem die Kinder endlich ihren Schlaf in einem fremden Bett gefunden haben: Sie liegt genüsslich in einem heissen Voll-Schaum-Bad. In der einen Hand hält sie ein feines Femina Praline und in der anderen ein „Das Beste" Heft. Stören nicht erlaubt!
 
Wir wälzen die Lokalzeitungen und schauen uns die Kirchenseiten an. Wo gibt es in der Nähe einen Gottesdienst? June und Sig helfen uns, eine geeignete Kirche zu finden. Den Berg hinunter, in einem Industriegebiet, gibt es die kleine Gemeinde „Faithway", die heute einen Gottesdienst feiert. Die meisten Kirchen haben nämlich Sommerpause… Wir schwingen uns auf die Räder und sausen den Berg hinunter.
Wie schön ist es, wieder einmal mit vielen anderen Menschen in den Lobpreis einzustimmen. Wir werden von vielen der Gottesdienstbesuchern aufs herzlichste begrüsst. Sie erklären uns, dass dieser Gottesdienst nur eine Kurzform sei und normalerweise auch ein Kinderprogramm angeboten werde. Doch wegen der Ferien… Wir sind sicher, dass wir wieder kommen werden!
Zurück im Tekoah Place erwartet uns bereits ein reich gedeckter Tisch. Wir werden aufs höchste verwöhnt. Es ist wie im Paradies. Wir dürfen einfach geniessen, ausspannen, spielen, lesen und faulenzen. Im Schwedenofenkamin pfeift der Wind immer lauter…
 
Die ganze Nacht hat der Wind unaufhörlich um das Haus gepfiffen. Ich habe kaum Schlaf gefunden. Wir wollen PANGAEA an ihrem Ankerplatz aufsuchen und nachschauen, ob alles in Ordnung ist. Nach dem Essens-Verwöhnprogramm der letzten zwei Tage brauchen wir dringend Bewegung. Eine Fahrradtour ist angesagt. Im Schuss geht es den Hügel hinunter, um auf der gegenüberliegenden Seite gleich mit noch grösser Steigung wieder hinauf zu gehen. Nun befinden wir uns auf der Hauptverkehrsstrasse von Tauranga. Hier sind die meisten Geschäfte und Läden zu finden. Wir fahren an zwei grossen Supermarkets vorbei, die sogar geöffnet haben!
Harbor Bridge, Hafengelände und dann fahren wir in die Strasse ein, die entlang der Pilot Bay zum Mount führt. Der Wind fegt über den Hafen genau auf uns zu. Das Wasser ist aufgewühlt und überall sind Schaumkronen zu sehen. Dann sehe ich PANGAEA wie ein wildes Pony auf den Wellen tanzen. Sie ist exakt am gleichen Ort, wo wir sie zurückgelassen haben. Alles scheint in Ordnung zu sein. An Bord zu paddeln ist bei diesem starken Wind und nur einem Paddel nicht möglich. Ich bin nicht glücklich mit der Situation, vor allem weil der Wind direkt aufs Land bläst und seine ganze Stärke über dem Hafen aufbauen kann. Doch die Wettervorhersage verspricht abnehmende Winde und so belassen wir PANGAEA an ihren zwei Ankern.
 
Wir geniessen die Tage bei June und Sig in vollen Zügen. Wir unternehmen gemeinsame Spaziergänge und sie zeigen uns die nähere Umgebung ihres Heimes. Ein weiterer Höhepunkt ist der Sonntag. In einem Park direkt am Wasser gelegen, finden sich zwei riesige Spielplätze und eine Gartenbahn. Die Lokomotiven sind so gross, dass man auf den von ihnen gezogenen Wagen Platz nehmen darf. Für 50c fahren einem die verschiedensten Züge zwei Runden durch den Park. Der Preis ist für Kinder und Erwachsene der gleiche. Auf unsere erstaunte Frage lächelt der Billettverkäufer hinter seinem Schalter nur: „Here and now is everyone a child!" Wie recht er hat. Denn vor allem, ältere Herren hantieren an den Kunstwerken von Lokomotiven herum. Die meisten der Loks wurden in hunderten von Stunden selber gebaut. Jeder Hebel, jede Achse und sicher die meisten der Schrauben sind in Handarbeit in einer kleinen Heimwerkstatt entstanden. Die glänzenden Augen von Jung und Alt sagen alles!
Anina und Noemi besteigen das kleine Podest vor dem Billettschalter und kaufen sich ein Ticket für den nächsten Zug. Stolz kommen sie mit dem kleinen, weissen Papier zurück. Jetzt heisst es vor einem Törchen der Palmerville Station Schlange stehen. Die Dampflokomotive fährt fauchend und dampfend um den Rank und kommt unmittelbar vor uns zum Stehen. Anina und Noemi sind schnell und ergattern sich den Sitz direkt hinter dem Kohlentender. Ich nehme mit Sina etwas weiter hinten Platz. Eine Glocke bimmelt, ein Ruck und es geht los. In atemberaubender Geschwindigkeit saust das Gras, die Bäume und die Zuschauer an uns vorbei. Viel zu schnell sind die zwei Runden zu Ende. Die Dampflok ist hungrig und durstig. Bei jedem Stop bekommt sie mit einem Hammer zerkleinerte Kohlenstücke und einen grossen Schluck Wasser. Ein lauter Pfiff und schon ist der Zug mit vielen strahlenden Gesichtern wieder unterwegs. Was würde Götti Matthias wohl zu dieser Bahn sagen?
 
Die erholsamen Tage gehen zu Ende. Wir wollen den stabilen Untergrund, das unendliche Raumgefühl, die tägliche, heisse Duschen und den Telefondraht ins Internet wieder mit unserem schaukelnden Schiff tauschen. Wir werden die Nähe von June und Sig vermissen. Doch im Jahreskalender folgt der nächste, grosse Anlass: Sylvester/Neujahr. Wir haben vernommen, dass am Mount jedes Jahr ein grosses Fest mit Feuerwerk abgehalten wird. Unser Schiff liegt uns zu nahe an diesem Rummel und wir wollen es nicht alleine lassen. Zu schnell können sich eine Feuerwerksrakete oder irgendwelche betrunkenen Jugendliche an Deck verirren.
In aller Früh stehe ich auf. Susan und die Kinder schlafen noch. Auf dem Esstisch steht bereits das Geschirr für das Frühstück. Beim Platz von Susan zünde ich zwei Kerzen an und lege ein Badetuch auf den Teller. Susan hat heute Geburtstag. Ich möchte ihr einen freien Nachmittag in den Hot Water Pools schenken.
Dicke, schwarze Wolken brauen sich am Himmel zusammen und schon bald fallen dicke Regentropfen vom Himmel. Wir verschieben die Rückfahrt zum Mount. Die Zeit vergeht, der Regen bleibt. Endlich wird es heller, die Himmelsschleusen schliessen sich und wir radeln los.
Wir haben gerade die Harbor Bridge überquert, als es wieder wie aus Kübeln zu giessen beginnt. Wir stellen uns unter ein kleines Vordach. Es ist später Nachmittag, als wir beim Mount ankommen. Den Abend wollen wir noch geniessen und in der Nähe einen feinen z'Nacht geniessen. Die Überraschung mit den Hot Water Pools müssen wir wohl oder übel verschieben. Ich paddle mit dem Gepäck zum Schiff zurück und verstaue alles im Inneren. Zurück am Strand, kette ich das Dingi an einen dicken Pflock. Das Vorhängeschloss schnappt zu. In meinem Kopf macht es KLICK: Der Schlüssel für das Schloss liegt auf dem Kartentisch der PANGAEA… Im Campingplatz können wir uns eine Eisensäge ausleihen. Wie Diebe entfernen wir die Kette vom Beiboot. Etwas Gutes hat die Anfrage im Zeltplatz: Wir dürfen die Fahrräder und den Anhänger in einem Schuppen unterstellen.
Feine Fisch und Chips mit einem grossen Glace zum Dessert lassen uns die nasse Velofahrt ein wenig vergessen. Die Sonne taucht den Hafen in glühendes Rot, als wir müde zur PANGAEA zurück paddeln.
 
In den nächsten Tagen erkunden wir die nähere Umgebung unseres Ankerplatzes. Die Gegend hat die unterschiedlichsten Gesichter. Der Platz beim Mount Maunganui ist eine Ferienstadt. Die Appartementhäuser sind, von wenigen Ausnahmen abgesehen, in den letzten zehn Jahren entstanden. Die Ferienstadt geht praktisch nahtlos in ein grosses Industriegebiet, den kommerziellen Hafen und den Flughafen von Tauranga über. Die Entfernungen sind enorm und das Zentrum des eigentlichen Tauranga liegt auf der anderen Seite der Harbor Bridge, zehn Kilometer entfernt.
Trotz der vielen, neuen Appartementhäuser gibt es am Mount grosse Grünflächen mit Weihern, Picknicktischen und Spielplätzen. Wir geniessen diese stillen Oasen, nachdem wir durch die viel bevölkerten Strassen gefahren sind. Die Strassen sind angenehm zu fahren, doch der Verkehr ist immens. Die Stadt versucht mit künstlichen Bodenwellen die Raser zu bremsen. Das Gegenteil ist der Fall. Die meist jugendlichen Fahrer geben nach jedem Hindernis Vollgas. In einem solchen Moment weichen wir gerne aufs Trottoir aus.
Nicht nur Massnahmen der Verkehrsberuhigung sind anzutreffen. Weite Gebiete des Mount sind mit einem Alkoholbann belegt. Über die Wochenenden und Feiertage ist das konsumieren von Alkohol auf den Strassen und öffentlichen Plätzen verboten. Tafeln informieren die Bewohner und Touristen über diese Verbote. Ein Versuch, die schweren Verkehrsunfälle der vergangenen Jahre zu dezimieren.
Das ganze Gebiet wird vom Wahrzeichen Mount Maunganui überragt und dominiert. Von jedem Winkel aus ist er zu sehen und uns dient er als Wegweiser, wenn wir uns verfahren haben. Dutzende von Wanderwegen säumen den Fuss und die Flanken des Hügels. Morgen wollen wir die Spitze erklimmen.
Wir wollen die Kühle des Morgens für die Besteigung ausnutzen, denn um die Mittagszeit brennt die Sonne mit einer ungewohnten Intensität vom Himmel und im Windschatten des Hügels wird es unerträglich heiss. Der Rucksack ist gepackt mit Frühstück, z'Nüni und Mittagessen. Die Kinder haben ihre Rettungswesten an und stehen am Heck bereit. Es kann los gehen. Wo ist Sina? Suchend blicke ich mich an Deck um. Die kleine Dame liebt Wasser über alles. Sie sitzt voll bekleidet und mit der Schwimmweste gesichert im blauen Kessel… Susan packt das Schlitzohr. Niedergang aufschliessen, alle Kleider und Stoffwindeln ausziehen, neu wickeln und wieder anziehen. Das ganze dauert! Endlich können wir unseren Ausflug starten.
Die Steigung ist beachtlich und wir kommen trotz der kühlen Morgenbrise arg ins Schwitzen. Anina und Noemi sind auf ihren eigenen Füssen unterwegs. Sina darf im Tragtuch die Aussicht geniessen. Wir werden immer wieder von schnellen Joggern überholt, die ihr morgendliches Programm abspulen. Eine letzte Biegung und wir stehen auf dem Gipfel des Tauranga Hausberges. Die Aussicht über den Hafen und die Stadt sind überwältigend. Wir setzen uns auf das weiche Gras und packen unser Frühstück aus. Flöckli mit Milch, frische Brötchen und sogar ein feines Yoghurt findet sich im Rucksack.
Wir verweilen lange an diesem herrlichen Ort und schauen den Schiffen nach, die den Hafen verlassen. Wann werden wir wieder in See stechen? Unseren Abstieg starten wir auf der gegenüberliegenden Seite. Der schmale Weg ist noch steiler, als derjenige beim Aufstieg. Die Sonne brennt erbarmungslos auf die Felsen. Wanderer ohne Kopfbedeckung kommen uns entgegen. Ihr Keuchen ist noch lange zu hören. Wir sind froh, haben wir uns in aller Früh auf den Weg gemacht.
Die Wohnwagen und Zelte des Campingplatzes werden immer grösser. An der Nordseite der Halbinsel bricht sich die Dünung des Meeres am Sandstrand. Hier sonnen sich die Touristen in der Mittagssonne und stürzen sich für ein Bad in die Wogen. Es ist Sommer und man muss ins Wasser! Uns ist das Meer zu kalt und zu trüb. Wir sind verwöhnt!
 
Die Festivitäten von Neujahr sind vorbei. Vom ganzen Rummel haben wir auf dem Schiff nicht viel gespürt. Auch das Feuerwerk stellte für unser Schiff keine Gefahr dar. Jetzt wird es um den Mount sicher ruhiger. Weit gefehlt! Die Strasse entlang der Pilot Bay ist gesperrt. Auf der Fahrbahn steht ein riesiges Zelt. Gleich daneben reiht sich ein Fahrrad an das Nächste. Mit der Lenkstange hängen sie an einem Gestell. Normale Velos sind das nicht. Viele scheinen von einem anderen Stern zu sein, so futuristisch sehen sie aus. Was wird hier vorbereitet? Auf einem die Strasse überspannendes Transparent steht: PORT OF TAURANGA - 15th HALF IRONMAN. Morgen soll dieser Marathonlauf stattfinden.
Das Thermometer im Freien zeigt am frühen Morgen keine 15°C an. Im Cockpit ist es uns schon seit einiger Zeit zu kalt zum Essen. Friedlich sitzen wir am Salontisch und geniessen unser Frühstück. Plötzlich dringt ein eigentümliches Geräusch durch den Rumpf zu uns. Zuerst ein lauter Knall, dann ein Rauschen und rhythmisches Schlagen. Wir eilen zum Niedergang und hinauf auf Deck. Das Wasser schäumt. Hunderte von Schwimmerinnen und Schwimmern kraulen durch das dunkle, kalte Hafenwasser. Der Half Ironman ist gestartet. Mit unglaublicher Geschwindigkeit ziehen die Sportler an den Schiffen vorbei. Die schnellsten sind bereits wieder an Land, als die langsameren die Hälfte der Schwimmstrecke noch vor sich haben. Als nächstes heisst es für die Triathleten sich aufs Fahrrad schwingen und zum krönenden Abschluss die Laufschuhe umbinden. Hut ab vor dieser enormen Leistung. Meine Kondition würde vielleicht für die Hälfte der Schwimmstrecke in der doppelten Zeit reichen. Wir beschränken uns auf das Anfeuern der Athleten kurz vor dem Ziel.
Beim Velofahren könnten wir vielleicht mithalten, denn jeden Tag trainieren wir fleissig. Wir suchen die Gegend nach allen möglichen Geschäften ab, um Material für die bevorstehende Schiffsrevision zu finden. An unserem Schiff gibt es nämlich viel, sehr viel zu tun: Alurohr für das Dingipaddel, Hartholz für die Ankerwinsch, alle möglichen Spezialteile, usw. Die Liste kann beliebig verlängert werden. Bevor wir mit den Arbeiten beginnen, wollen wir alles Material beisammen haben. Viele der Geschäfte liegen im Industriegebiet in der Nähe des Mount. Andere im Hafengelände auf der anderen Seite der Harbor Bridge und wieder andere in der Downtown Tauranga. So kommen täglich dutzende von Kilometern in unser Trainingslog.
Besuch aus der Schweiz hat sich angekündigt. Tanja , eine Coucousine von Susan, hat uns vor einigen Tagen ein Email geschickt. Sie befindet sich auf einer New Zealand Tour und hat in ihrem Gepäck etwas für uns aus der Schweiz dabei. Gespannt erwarten wir ihre Ankunft beim Mount. Wird sie den Weg finden? Am späten Nachmittag trifft sie tatsächlich mit ihrem kleinen Mietwagen an der Pilot Bay ein.
Der Wind bläst kräftig über die Bay und auf den Wellen bilden sich kleine Schaumkronen. Ist unsere Besucherin seefest? Ich hoffe schon, denn sonst hat die Dame ein kleines Problem auf der schaukelnden PANGAEA. Eine Unterkunft wird sie in diesen Tagen schwerlich an Land finden. Ihr Gepäck verstauen wir in Abfallsäcken, damit ihm das Spritzwasser nichts anhaben kann. Fragend schaut Tanja mich an. „Wird die Fahrt so nass?"
Sie findet die Überfahrt mit dem segelnden Dingi amüsant. Ich bin froh, als wir am Heck des Schiffes festmachen. Tanja scheint sich an Bord wohl zu fühlen und die Bewegungen machen ihr nichts aus. Ich bin erleichtert. Sie überreicht uns eine grosse Plastiktüte mit Geschenken aus der Schweiz. Grosi und Grosätti haben einmal mehr an uns gedacht! Wir geniessen die Schweizerdeutsche Plauderrunde an diesem Abend sehr.
Morgen will ich unsere EPIRB in die Reparatur bringen, denn die Antenne ist gebrochen. Unserem Gast erkläre ich die Funktion der Rettungsboje und zeige ihr, wie man den Selbsttest aktiviert. Ein helles, weisses Licht blitzt und eine rote LED blinkt. Nach einigen Sekunden sollte eine grüne LED aufleuchten und das Blitzlicht verlöschen. Nichts geschieht. Das Gerät blitzt weiter und die rote LED blinkt. Ich lasse den Aktivierungshebel los und er springt zurück in die Nullstellung. Jetzt sollten eigentlich alle Lichter an der EPIRB verlöschen. Doch es blitzt und blinkt rot weiter… HILFE! Das Ding ist aktiviert! In aller Hast suche ich einen Schraubenzieher hervor und löse die vier Schrauben des Batteriefaches. Es vergeht eine Ewigkeit, bis das Gehäuse offen ist und ich die Batterie abhängen kann. Über die Notruffrequenzen am Funkgerät gebe ich durch, dass unsere EPIRB aus versehen aktiviert wurde. Hoffentlich hört mich jemand. Vielleicht war die EPIRB auch gar nicht aktiviert, denn der Aktivierungshebel stand nie auf der EIN Stellung. Unser Gast ist von der Demonstration beeindruckt…
Tanja bleibt zwei Nächte bei uns an Bord, dann zieht sie auf ihrer Tour weiter in den Süden. Was wird sie von ihrem Aufenthalt in Tauranga und bei uns an Bord wohl in Erinnerung behalten?
 
Wir erkunden mit unseren Fahrrädern weiterhin Tauranga und seine Umgebung. Es gibt unendlich viel zu sehen. Manchmal zieht es uns für einen kurzen Besuch zu June und Sig. In der Zwischenzeit haben wir keine Skrupel mehr, den Expressway zu benutzen, nachdem wir andere Radfahrer auf dem Pannenstreifen gesehen haben. So verkürzt sich der Weg erheblich und viele der Steigungen entfallen. Ein kurzer Abstecher in den Supermarkt rundet einen solchen Ausflug ab. Wir geniessen die reiche Auswahl an frischen Sachen, wie Gemüse, Früchte, Milchprodukte und Fleisch. Wir haben in den letzten Monaten im Pazifik lange auf diese feinen Sachen verzichten müssen.
Auf unseren Fahrten durch die Strassen entdecken wir laufend Neues. Wir versuche so oft wie möglich einen anderen Weg einzuschlagen. Hier sehen wir einen kleinen Spielplatz, an der nächsten Kreuzung einen Secondhand Shop oder einfach einen kleinen Park mit schöner Aussicht zum Verweilen.
In der Downtown Tauranga reiht sich wie am Mount ein Geschäft an das nächste. Die meisten Läden sind auf Touristen ausgerichtet, doch es gibt auch etliche Spezialgeschäfte und Handwerker-Supermärkte. In den Strassenschluchten brennt die Sonne heisser herunter als auf unserem Ankerplatz. Hier spüren wir so etwas wie Sommer. Eine Abkühlung ist angesagt und da kein Pool in der Nähe ist, genehmigen wir uns ein Eiscreme. Wie sagt doch das Glacelied auf der Li-la-Lokireis CD? „Glace schlekke das isch guet, will's halt schwups im Buuch rutsche tuet."
Wir wollen einen neuen Weg und damit eine neue Brücke für die Rückfahrt zum Mount erkunden. Vom Zentrum von Tauranga führt eine Eisenbahnbrücke über den Flussarm. Diese Bahngeleise führen zum Hafen beim Mount. Von der Touristinformation wissen wir, dass man zu Fuss und mit dem Fahrrad diese Brücke benützen kann. Das wollen wir genauer wissen.
Das erste Hindernis stellt sich uns bereits bei der Rampe in den Weg, die uns auf die Brücke führt. Zwei massive Betonmauern verengen den Gehweg so stark, dass wir sogar die Räder darüber hieven müssen. Ganz zu schweigen vom Anhänger. Jetzt ist der Weg aber frei von Hindernissen. Denkste… Alle 20 Meter ragt ein Stahlträger der eigentlichen Brücke in den Gehweg. Bei den ersten zehn gelingt es mir, den Leggero durch zu mogeln. Beim elften Träger hilft nichts mehr. Der Anhänger ist zu breit und es gibt kein Durchkommen mehr. Wir lassen ihn stehen und fahren mit den Rädern weiter. Wir wollen bis ans Ende der Brücke.
Der Wind bläst ungehindert durch die offene Brückenkonstruktion. Er ist so stark, dass er mich fast vom Fahrrad drückt. Es ist empfindlich kalt. Wir kehren um und sind froh, als wir uns wieder im Windschutz der Gebäude befinden. Wir überlassen die Brücke den Lokomotiven und ihren Wagen. Gerade holpert einer im Schrittempo über die Schienen.
 
Käse, Milch, Yoghurt. Wir und unsere Kinder lieben diese Produkte über alles. Schade, ist unser Kühlschrank so klein an Bord. Ich bin sicher, dass der Vorrat und Verbrauch dieser leckeren Sachen um einiges grösser wäre, wenn wir mehr Platz hätten. Wie funktioniert die Milchwirtschaft in New Zealand? Wir erhalten die Möglichkeit, einen Blick hinter die Kulissen zu werfen.
Der Sohn und die Tochter von June betreiben beide eine Kuhfarm in der weiteren Umgebung von Tauranga. June und Sig entführen uns an einem Nachmittag auf einen der Höfe. Schon bald liegt die Stadt hinter uns und die befestigte Strasse ist einer Schotterpiste gewichen. Der Weg schlängelt sich zwischen Hügeln hindurch. Immer wieder erkennen wir in der Ferne eine Kuhherde. Die saftig grünen Weiden sind mit weissen, braunen und schwarzen Punkten betupft.
Wir biegen in einen schmalen Seitenweg ein, der einige hundert Meter weiter bei einem flachen Betonbau endet. Neben dem Gebäude steht ein hoher Tank und auf einem grossen Platz daneben drängen sich die Kühe. Sie warten darauf, gemolken zu werden. Der Betonbau ist der Melkstand. Wir erkennen schnell, dass wir alles vergessen müssen, was wir bis anhin von einem Bauernhof gewusst haben. Zwischen einem Schweizer Bauernhof und einer Neuseeländischen Kuhfarm liegen Welten.
Dreissig der wartenden Kühe trottet unter das Betondach. Hier stellen sie sich in zwei Reihen mit dem Hinterteil gegen ein Eisengeländer. Die Kühe stehen dicht gedrängt und ein Bewegen ist praktisch unmöglich. Flinke Hände legen bei jedem Euter die Saugstutzen an. Um die Leute vor schlagenden Kuhschwänzen zu schützen, wurde den Kühen kurzerhand der Schwanz kupiert. In New Zealand ist das Kupieren allgegenwärtig und die meisten Kühe auf den Weiden weisen keinen Schwanz mehr auf. Die Tiere sind den Fliegen und Mücken wehrlos ausgeliefert.
Die Melkmaschine beginnt zu laufen. Alle dreissig Kühe werden auf ein Mal gemolken. Die Milch fliesst durch lange Leitungen in den grossen Tank. Ein üblicher Neuseeländischer Hof führt 300 bis 400 Kühe, die zwei mal am Tag gemolken werden. Die anfallende Milchmenge ist gewaltig. Die Bauern transportieren die Milch für die Weiterverarbeitung nicht selber zu einer Zentrale. Riesige Tanklastwagen fahren Tag und Nacht in der Gegend herum und sammeln die Milch ein.
Wir dürfen mit den Kindern in die schmale Grube zwischen den Kuhhintern steigen und beim Melken zuschauen. Von hier wird den Kühen die Melkmaschine angelegt und der Kot gesammelt. Hoffentlich fällt mir nicht plötzlich einer der lecker duftenden Kuhfladen auf den Kopf. Mein Gesicht befindet sich nämlich auf Höhe der Kuhbeine…
Ist der Melkvorgang abgeschlossen, trotten die Kühe ganz alleine zurück auf die Weide. Einen Stall haben sie nicht. Nach gut einer Stunde sind die 300 Kühe gemolken und der Melkstand steht verlassen da.
 
Seit fast einem Monat liegen wir nun am Fuss des Mount Maunganui vor Anker. Es wird Zeit, uns auf die bevorstehende Auswasserung von PANGAEA vorzubereiten. Wir sind gespannt, was für Menschen wir in der Zeit auf dem Trockenen kennen lernen dürfen.
 
Hardstand - Familientreffen - Pausen
 
Je länger wir am gleichen Ort verweilen, desto mehr Bekannt- und Freundschaften dürfen wir schliessen. Wir lernen neue Menschen auf dem Hardstand, in der Kirchgemeinde Faithway und auch auf unseren Ausflügen kennen. Ihre Herzlichkeit und Offenheit überrascht uns immer wieder. Würden wir in der Schweiz unvoreingenommen und ohne Vorurteile auf fremde Personen zugehen und sie zu uns nach Hause einladen?
Alle Leute, die wir kennen lernen, staunen ab der Art und Weise, wie wir als Familie unterwegs sind. Sie sind ausnahmslos neugierig, wie unser schwimmendes Heim aussieht. Alle fragen sich, wie man auf einem zwölf Meter langen Schiff, als fünfköpfige Familie zusammen leben kann und sich dabei nicht ständig in die Haare gerät. Nun, unsere Auseinandersetzungen müssen sich meistens nur die Wellen anhören… Unsere PANGAEA ist im Moment nicht vorzeigewürdig. Immer wieder sind alle Bodenbretter offen und das ganze Schiff mit Material verstellt. Darum müssen wir die Besucher auf später vertrösten.
Für uns ist das Leben auf kleinstem Raum zur Selbstverständlichkeit geworden. Uns interessiert dagegen, wie die Menschen hier in New Zealand leben. Die Geschichte des Landes ist jung. Entsprechend gibt es wenige historische Gebäude. Ist ein Haus gegen hundert Jahre alt, gehört es bereits zum nationalen Erbe. So verschieden die Leute sind, die wir kennen lernen, so unterschiedlich sind auch ihre Zuhause.
Eine Familie lebt in einem ehrwürdigen, zweistöckigen Gebäude. Die Fassade wird von grossen, gewölbten Fenstern gesäumt. Die Räume im Innern sind hoch und weit, das Raumgefühl überwältigend. Der Boden besteht aus einfachen, gebohnerten Brettern. Das Haus scheint in Renovation zu sein, denn die Decken- und Wandverkleidung fehlt zum Teil. Dem Stil nach muss dieses Gebäude vor langer Zeit erbaut worden sein und damit rechtfertigt sich eine Renovation. Wie erstaunt sind wir, als wir erfahren, dass mit dem Bau dieses Hauses vor vier Jahren begonnen wurde. Aus alten Materialien (die Grossen Fenster zum Beispiel stammen aus einer alten Kirche) ist ein neues Haus mit einem ungewöhnlichen Charme und Charakter entstanden.
Von einer sechsköpfigen Familie werden wir auf ihre Farm in der Nähe von Tauranga eingeladen. Das Wohnhaus steht abseits von jedem anderen Haus und ist nur von Weiden und Wäldern umgeben. Es ist ein einfacher Holzbau. Wieder sind die Räume hoch, weit und hell. Mitten durch das Grundstück fliesst ein breiter Fluss. Sogar ein Wasserfall hat das Anwesen zu bieten.
In New Zealand bauen viele Leute ihr Haus selber. Oft leben sie während dem Bau bereits darin. Sobald das Haus fertig ist, wird es verkauft. Jetzt kann erneut gebaut werden. Die Neuseeländer mieten ihr Wohnobjekt selten. Sie kaufen sich ein Gebäude, um es nach einer gewissen Zeit wieder zu verkaufen. Das ist die selbstverständlichste Sache der Welt.
Eine Schweizer Familie, die seit acht Jahren in Tauranga lebt, baut ihr Haus aus der gleichen Idee heraus, es nach der Fertigstellung zu verkaufen. Das Gebäude liegt in einem neuen Quartier. Jedes Haus scheint ein Unikat zu sein und einen einheitlichen Baustil gibt es nicht. Das Zuhause der Schweizer Familie sticht aus den „normalen" Häusern sofort heraus. Es ist ein Strohhaus. Allein die Gartenmauer ist ein Genuss. Unter der geschwungenen Mauer verbergen sich alte Autoreifen, die mit einem Gemisch aus Mörtel und Stroh verkleidet wurden. Das gibt der Grundstücksgrenze ein einzigartiges Aussehen. Runde Formen und weiche Farben dominieren auch im und am Haus.
Wir sind von diesem Gebäude begeistert. Überall natürliche Materialien, geschwungene und Runde Formen. Wir fühlen uns wohl in diesem Haus. Sollen wir PANGAEA verkaufen und dafür ins Strohhaus ziehen? Im Industriegebiet hat mir ein Werkstattbesitzer bereits sein Geschäft zum Kauf angeboten. Arbeit hätte ich also auch…
Ein Leben auf der anderen Seite der Erde? Weit weg von allen Freunden und Verwandten aus der Schweiz? Wir können es uns nicht vorstellen und stürzen uns wieder in die Arbeit am Schiff, damit wir so bald als möglich in See stechen können. Kurs West!
 
© Susan & Christoph Manhart, SY PANGAEA