Logbuch SY PANGAEA / North New Zealand
 
aus Wochen wurden Monate

20.01. - 12.05.2004

 
Der grosse 20 Liter Kübel mit der Antifouling-Farbe ist fast leer. Noch ein letzter Anstrich, dann ist PANGAEA bereit für ihr Element: Wasser. Doch in New Zealand scheint das Wetter einmal mehr nicht der Norm zu entsprechen. Der Winter hält Einzug. Eigentlich würde der Herbst noch fehlen… Jeder Neuseeländer versichert uns, dass der Winter mit seinem vielen Regen normalerweise erst im Juni oder Juli beginne. Doch dieses Jahr scheint alles anders zu sein. Begonnen hat es mit einem extrem kurzen Sommer und scheint nun mit einem frühen Winter zu enden. Oder auf Neuseeländisch: UNUSUAL!
Nach mehreren Wochen schönstem Wetter giesst es nun aus allen Kübeln. Innerhalb von einem Tag fällt so viel Regen, wie sonst in einem ganzen Monat. Der Durchschnitt und damit die Statistiken stimmen wieder. Wasser haben wir also genug, doch leider aus der falschen Richtung: Nämlich von oben. Unser grosser schwarzer Kübel wurde ohne zusätzliche Sammeleinrichtung über Nacht gefüllt! An einen Aussenanstrich ist bei dieser Nässe natürlich nicht zu denken.
Seit mehr als drei Monaten sind wir nun hier auf dem Trockenen. Alle Arbeiten unserer fast unendlich langen Liste sind erledigt. Aus diesem Grund nutzen wir das regenreiche Wetter, um einen Grosseinkauf an Lebensmitteln zu tätigen. Zwei Einkaufswagen füllen wir. Wer soll das nur alles essen? Doch im nächsten Moment erinnere ich mich an den guten Appetit uns aller, wenn wir unterwegs sind…
Viele der angebotenen Früchte und Gemüse sind für uns immer noch unbekannt. Leider sind ihre Preis so enorm hoch, dass wir einen Probierkauf immer wieder hinausgeschoben haben. Für ein Kilo Tamarillo zum Beispiel wurden neun NZ$ verlangt. Doch jetzt scheint die Saison begonnen zu haben und wir wagen den Kauf einiger dieser fremdartigen Früchte. Wie sie wohl schmecken werden?
Beladen mit duzenden, bis zum Rand gefüllten Kartonschachteln verlassen wir den Supermarkt. Ob das alles in unser Fahrzeug passt? Ja, denn für einmal sind wir nicht mit unseren Fahrrädern und dem Anhänger unterwegs. Der wäre unter dieser Last schlicht und einfach zusammengebrochen. Von anderen Seglern durften wir das Auto ausleihen, was den Transport doch um einiges erleichtert.
Für kurze Zeit hört der Regen auf. Das reicht gerade, um alle Sachen über die lange Leiter an Bord zu bringen. Wie viele Schachteln und Leitertritte waren es doch gleich?
Was können wir sonst noch bei diesem Wetter vorbereiten und erledigen? Eine Kontrolle beim Zahnarzt wäre vor dem nächsten grossen Segelschlag sicher nicht schlecht. Ob wir dafür nicht etwas spät dran sind? In der Schweiz beträgt die Wartezeit für einen Besuch ja oft mehrere Wochen. Wir versuchen es, und sprechen bei der Zahnarztklinik eines Gesundheitszentrums vor. „Wollen Sie lieber heute um 11:30 oder 15:30 Uhr kommen?" Wow, auf diese kurze Wartezeit sind wir nicht vorbereitet. Doch je schneller dieser unbeliebte Gang erledigt ist, um so besser.
 
Für den nächsten Sonntag hat der Wetterbericht eine Besserung angesagt. Wir bereiten alles vor, um PANGAEA am Samstag Abend in den Travel-Lift zu hängen. Sie soll über Nacht in den Gurten hängen, denn wir wollen noch einmal die Unterseite des Kiels kontrollieren und mit einer Schicht Antifouling versehen. Die Treffsicherheit der neuseeländischen Wetterberichte kennen wir in der Zwischenzeit sehr gut. Und so sind wir wenig erstaunt, als es den ganzen Samstag aus allen Kübeln giesst und dazu noch ein starker Wind weht. Das Wassern von PANGAEA wird abgesagt.
Am Sonntag zeigt sich der Himmel von einer angenehmeren, trockneren Seite. Der Travel-Lift Operator spricht uns an, und will wissen, ob wir am nächsten Tag ins Wasser wollen. Angesichts des Wetters stimmen wir zu und bereiten alles für den letzten Anstrich unter dem Kiel vor.
Wir staunen jedesmal, wenn der riesige Travel-Lift unterwegs ist. Der Fahrer scheint sein Gefährt im Schlaf steuern zu können. Auf den Zentimeter genau schiebt sich der blaue Kran an unserem Schiff vorbei. Die Gurten werden plaziert und kurze Zeit später schwebt PANGAEA einen Meter ab Boden.
Bereits spüre ich die nächsten Regentropfen. Es wird doch nicht schon wieder zu regnen beginnen? Unter dem Schiff bin ich für einige Zeit geschützt und so mache ich mich schnell an die Arbeit. Der grosse Kübel Antifouling wird endlich leer. Alle Farbe ist auf dem Unterwasserschiff aufgetragen. Jetzt darf es für die nächsten drei Stunden einfach nicht zu stark regnen, denn so lange braucht die Farbe zum trocknen.
Der Morgen begrüsst uns grau, nass und kalt. Es regnet, als der Kiel von PANGAEA das Wasser berührt und sie zurück ins Wasser sinkt. Weit fahren wir noch nicht. Für ein paar Tage dürfen wir am Arbeitssteg liegen, bis alles an Bord verstaut und erledigt ist. Gemäss Marina Manager soll das Wasser hier zwei Meter tief sein. PANGAEA hat zwei Meter Tiefgang. Unser Tiefenmeter zeigt noch 0.5m Wasser unter dem Kiel an, als wir am Steg festmachen. Tiefwasser ist aber erst in drei Stunden. Das Wasser wird also sicher noch weiter sinken… Warten wir ab, was geschehen wird.
Drei Monate im Cradle hinterlassen seine Spuren. Und diese gilt es nun zu beseitigen, damit der Platz bereit ist für ein neues Schiff. Wir suchen all unsere Sachen zusammen und reinigen sie. Sechs kleine Kinderhände wollen natürlich auch mit anpacken. Was ist am Ende wohl mehr nass? Die zu reinigenden Teile oder die Kinder?
Alle Sachen werden anschliessend zum Schiff transportiert. Wo sollen wir das alles noch verstauen? Nicht nur Lebensmittel müssen an Bord verstaut werden. 170 Liter Kerosin, 80 Liter Brennsprit, 180 Liter Wasser in Fässern, drei Koffer, und, und, und. Alles will seinen Platz haben. Und bei all diesen Dingen an Bord wollen wir uns natürlich auch noch bewegen können, ohne Bergsteigen zu müssen. Dieses Einräumen erinnert mich immer wieder an ein überdimensionales 3D-Puzzle.
Der Zeitpunkt für Tiefwasser ist gekommen. Irgendwie habe ich schon seit geraumer Zeit das Gefühl, dass etwas mit dem Schiff nicht mehr stimmt. Der Gang vom Salon zur Pantry ist so anstrengend. Ein Blick nach Draussen gibt mir die Erklärung dafür: Wir stehen schief. PANGAEA steht mit dem Kiel auf dem Grund und da das Wasser noch weiter zurückging, steht sie nun in Schräglage. Wir fühlen uns wie unter Segeln mit Krängung. In zwei Tagen ist Vollmond und dann wird der Unterschied zwischen Ebbe und Flut noch viel grösser sein. Ob PANGAEA dann kippen wird?
Seit über drei Monaten verbringen wir wieder die Nacht auf dem Wasser. Ich finde keinen tiefen Schlaf. Die Geräusche sind so anders, ungewohnt und doch so bekannt. Das Wasser gurgelt um den Rumpf, die Taue schlagen im Wind gegen die Masten und die Befestigungstaue knirschen.
 
Unser Schiff steht so schief wie noch nie. Jetzt wird es richtig ungemütlich. Mit dem Grossfall binden wir das Schiff an einem Laternenpfahl fest, damit es nicht ganz umfallen kann. Das ist kein Zustand und ich bitte den Marina Manager uns einen anderen Platz zu geben. Er lächelt nur, als ich zu ihm komme. Er habe damit gerechnet, dass ich kommen werde. Jetzt will er es aber genau wissen und er kommt mit einer langen Holzlatte bei PANGAEA vorbei. Direkt am Steg ist das Wasser noch 1.5 Meter tief. Auf der Aussenseite von PANGAEA 1.8 Meter. Also nirgends die besagten zwei Meter!
Am Nachmittag verhohlen wir unser Schiff und liegen kurze Zeit später zwischen riesigen und teuren Megayachten. Unsere Masten sind so niedrig, dass sie zwischen den anderen Masten zu verschwinden scheinen. Auf den meisten dieser Schiffe lebt aber niemand. Nur zwei andere Fahrtenschiffe finden wir.
Das eine ist ein französisches Segelschiff mit einem Mädchen in Anina's Alter an Bord. Schnell haben sich die zwei gefunden. Die Verständigung ist etwas schwierig. Anina versucht es mit Englisch und Sophie antwortet auf Französisch. Doch um die Puppen zu umsorgen braucht es nicht viele Worte. Viel zu schnell kommt der Abschied, denn die französische Familie will von hier nach Tahiti segeln. Ein langer Weg.
 
Unsere Weiterfahrt rückt immer näher. Es wird Zeit, sich von all den lieben Menschen zu verabschieden, die wir hier auf dem Hardstand, in Tauranga und bei Faithway der Kirchgemeinde kennengelernt haben.
Hier spüren wir den grossen Nachteile des Reisens: Wir haben viele nette, schöne und tiefe Freundschaften geschlossen und jetzt heisst es Abschied nehmen. Wir wissen nicht, wann und wo es ein Wiedersehen geben wird.
Auf wiedersehen sagen dauert lange. Länger als wir gedacht haben. Wir schieben unsere Abfahrt aus der Marina immer wieder vor uns her. Wir merken, dass es uns schwerfällt, die lieben Menschen hinter uns zu lassen. Und doch wissen wir, das viele von Euch sehnlichst auf unsere Rückkehr warten.
Also auf geht es. Die letzten Arbeiten wollen erledigt werden. Ich besorge ein paar letzte Schrauben beim Schiffsausrüster. Als ich zurück zum Schiff komme merke ich sofort, dass etwas nicht mehr stimmt. Susan ist stink sauer. Der Grund? Sie hat ihr Fahrrad kopfüber auf den Steg gestellt, um es reinigen zu können. Genau in diesem Moment marschiert ein Pärchen an ihr vorbei (mit dem Gewicht von zwei Elefanten und dem Bewegungsgang von Känguruhs). Der Steg schaukelt so stark, dass das Fahrrad das Gleichgewicht verliert und ins Wasser fällt. Keine Entschuldigung von den Verursachern. Im Gegenteil: Sie behaupten, dass das alleine der Fehler von Susan sei und gehen weiter.
Einer unserer Schiffsnachbarn borgt uns einen einfachen, leichten Anker. Mit diesem gelingt es uns tatsächlich das Fahrrad aus dem drei Meter tiefen Wasser zu fischen. Das Salzwasser ist natürlich in alle Lager gedrungen. Wir spülen den Schlamm mit viel Süsswasser weg und behandeln das ganze Velo mit WD40. Ob das nützt, werden wir in Australien sehen, wenn wir das Fahrrad wieder aus seinem Stauraum nehmen.
 
Alles ist verstaut und bereit. Ich sitze am Kartentisch und erledige Papierkram. Da höre ich bekannte und doch ganz fremde Klänge. Das hört sich doch wie eine Appenzeller Kuhglocke an? Ich steige ins Cockpit und tatsächlich: Ein Schweizer, den wir hier in der Marina kennengelernt haben, verabschiedet sich auf diese Weise von uns.
Für unseren ersten Schlag von der Marina in die Pilot Bay haben wir Gäste an Bord. Tim und Jems von Faithway begleiten uns dieses kurze Stück. In der Bay angekommen wird sogleich das Dingi auseinandergefaltet. Wir wollen unsere Gäste schliesslich nicht an Land schwimmen lassen. Das Wasser hat nämlich nur noch 15°C. Kaum sind wir fertig, kündigt sich noch ein weiterer Gast an. Marguerite, die Mutter von Jems, wartet an Land. Ich hole sie mit dem Dingi ab und wir verbringen einen gemütlichen Abend miteinander. Als Abschiedsgeschenk erhalten wir einen kleinen Plüsch-Kiwi-Vogel. Der Kreis schliesst sich, denn bei unserer Ankunft bekamen wir von June und Sig ebenfalls einen Plüsch-Kiwi-Vogel geschenkt.
Es ist schön, sich in den Herzen so vieler Menschen zu wissen.
 
Die Schiffe in der Bay und der Mount Maunganui erinnern uns an unsere Ankunft in Tauranga. Hier hat alles begonnen und hier werden wir nun auf günstigen Wind für die Fahrt in den Norden und dann in den Westen warten. Wir sind gespannt darauf.
Im Moment zieht eine heftige Front über uns hinweg mit viel Wind und Regen. Es ist gemütlicher hier vor Anker zu liegen, als draussen auf dem aufgewühlten Meer durch die Wellen zu pflügen.
 
© Susan & Christoph Manhart, SY PANGAEA