Logbuch SY PANGAEA / Tonga
 
give me! - Niuatoputapu

24.09-29.09.2003

 
Wir sind nicht alleine auf diesem Ankerplatz. Bereits schaukeln über 10 Segelschiffe hinter dem schützenden Riff. Neben unserer gelben Flagge sehen wir noch drei andere Q-Flaggen im Wind flattern. Von der HÜGELIG erfahren wir den Ablauf des Einklarierens: Die Offiziellen fahren mit ihrem Auto auf dem Kai vor und hupen. Dann müssen wir mit unserem Dingi an Land und die vier Personen auf unser Schiff bringen.
Doch wie soll das mit unserem Bananaboot vor sich gehen? Wir haben keinen Motor, das Beiboot bietet Platz für maximal vier Erwachsene und dazu kommt noch, dass der Wind sehr stark vom Kai her bläst. Nun hoffen wir, dass uns ein anderes Fahrtenschiff die Offiziellen an Bord bringt und auch wieder abholt.
Es ist Mittwoch und wir warten den ganzen Nachmittag auf das Auftauchen des Beamtenfahrzeuges. Wir sitzen natürlich nicht untätig herum. Nein, wir sind mit kleineren Reparaturen beschäftigt und verstauen die Segel unter Deck. Der ganze Nachmittag verstreicht, doch von den Beamten taucht niemand auf. Am Tag zuvor sei niemand aufgetaucht, weil es geregnet habe. Ob es heute zu windig ist…?
Am nächsten Tag ist es dann so weit. Die vier Beamtinnen und Beamten werden bei uns abgeliefert. Der Morgen ist schon weit fortgeschritten und es geht gegen das Mittagessen zu. Ich hantiere in der Pantry und Christoph füllt die Formulare aus. Zwei der Beamten wollen das Schiff inspizieren. Sie öffnen im Salon alle Schapps und sehen sich jede Koje an. Sie suchen nach unerlaubten Lebensmitteln. Auf einem Formular notieren sie alle frischen Früchte und Gemüse, die wir an Bord haben. Diese dürfen wir nur an Bord konsumieren und nicht an Land nehmen. Das macht uns natürlich lnicht viel aus.
Einer der Beamten schaut immer wieder auf das frisch gebackene Brot. Ich biete ihm ein Stück an, was er sofort dankend annimmt. Schon nach kurzer Zeit ist es verschwunden… Alle Formalitäten sind abgeschlossen und die Besitzer des nächsten Schiffes, welche einklarieren müssen, kommen mit ihrem Dingi bei uns vorbei und holen die vier Offiziellen ab. Wir mussten unser Dingi also nicht benutzen, worüber Christoph sicher am meisten froh ist.
Jetzt dürfen wir an Land und nach der Mittagsruhe segeln wir mit unserem Dingi an den Kai. Wir spazieren durch das angrenzende Dorf und schauen uns neugierig um. Natürlich werden auch wir neugierig angeschaut.
Das erste Mal, seit wir Hawaii verlassen haben, sehen wir hier wieder Pferde. Sie werden als Transportmittel gebraucht. Einige der Tiere sind an einer langen Leine an einen Baum angebunden, viele grasen aber unangebunden auf den Wiesen zwischen den Häusern. Weit können sie ja nicht, denn die Insel ist nicht sehr gross.
Jedes Mal, wenn wir kurz anhalten, werden wir von duzenden von Moskitos angefallen. Diese kleinen Tiere sind extrem lästig und unangenehm. Darum brechen wir unsere Erkundungstour schon bald ab. An einem schattigen Platz bei der Pier möchten wir noch das Popkorn schnabulieren, das ich als z'Vieri eingepackt habe. Kaum ist die Büchse offen, steht ein einheimischer Knabe bei uns und steckt seine Hand auch hinein. Ohne zu fragen und sehr fordernd bedient er sich von unserem Popkorn. Als er dann nach der Wasserflasche greift, wird es uns zu bunt und wir stoppen ihn. Das scheint ihn nicht zu beeindrucken und er nimmt sich weiterhin vom Popkorn. Erst als wir unsere Sachen packen und dem Kai entlang zum Beiboot gehen, verschwindet der Junge wieder.
Mit unserem segelnden Dingi sind wir rasch wieder auf der PANGAEA. Der Wind bläst genau vom Steg in die Richtung unseres Schiffes und die Paddel bleiben unbenutzt liegen.
Wir sind gerade dabei, unsere Kinder ins Bett zu bringen, als es an unser Schiff klopft. Wer kann das sein? Das junge Paar von der SIANDRA begrüsst uns in Niuatoputapu. Sie hätten einfach bei uns vorbeikommen müssen, da wir mit unserem Dingi an ihnen vorbeigesegelt seien. Es sei so selten, dass ein Beiboot gesegelt werde und meistens seien sie die einzigen.
Wie wäre es mit einem Race am nächsten Tag? Nicht Schweiz gegen New Zealand, sondern Schweiz gegen Australien…?
 
Ein neuer Tag erwacht auf Niuatoputapu. Kurz vor sechs Uhr sucht sich die Sonne hinter den Palmen den Weg zum freien Himmel. Die ganze Lagune liegt noch im Halbdunkel, als der Horizont zu brennen beginnt. Nur wenige Geräusche sind vom Land zu vernehmen: Hahnengeschrei und gackernde Hühner, zwei miteinander keifende Säue und bellende Hunde. Kurze Zeit später ertönt der wunderbare, volle Gesang der Inselbewohner. Sie erheben ihre Stimmen in den verschiedenen Kirchen der Insel in der Morgenandacht zum Lobe des Herrn.
Die nächste Viertel Stunde gehört ganz mir. Ich vertiefe mich in die Bibel und geniesse die Geräusche der Lagune. Danach erwacht auch auf der PANGAEA das Leben und fröhliche Kinderlachen ist zu hören.
Für heute haben wir ja bereits eine Verabredung. Wir wollen das Dingirace gegen die SIANDRA Crew abhalten, zur Schatzinsel segeln, dort Yamswurzeln braten, die Insel erkunden und Drachen steigen lassen. Der Wind bläst kräftig und konstant von Südost und bläht das Segel der little PANGAEA auf. Genau vor dem Wind macht unser Dingi rasant Fahrt. Das Beiboot der SIANDRA liegt bereits weit hinter uns als Christoph unser Bananaboot fast nicht mehr halten kann. Der Bug gräbt sich in die nächste Welle und little PANGAEA wird zum Swimmingpool. Alles schwimmt. Nur gut haben wir alle Kleider und Lebensmittel in den grossen schwarzen Bottich gepackt. Alles bleibt trocken und wir sind am Wasser schöpfen. In der Zwischenzeit braust unsere Konkurrenz an uns vorbei. Wie war das doch gleich beim Americas Cup Schweiz gegen New Zealand?
Mit einigem Rückstand kommen wir bei der kleinen Insel an und stapfen durchs knietiefe Wasser an den Strand. Das Dingi binden wir an einen grossen Korallenstein.
Wir finden am Strand einen schönen Platz. Büsche halten den starken Wind ab und Palmen bilden ein herrliches Schattendach. Schnell sind zwei Stämme gefunden, welche den richtigen Abstand für unsere Hängematte haben.
Holz suchen ist angesagt. Alle helfen mit, um im nahen Unterholz Brennmaterial zu sammeln. Schon bald flackert das Feuer in einer Sandmulde. Ein grosser Stapel Holz verwandelt sich in kurzer Zeit in einen Haufen glühender Kohle. Niki und Jamie packen die Yamswurzeln in Alufolie und legen sie in die heisse Glut. Ein feiner Duft breitet sich aus.
Wir geniessen den Strand, den schattigen Platz und das süsse Nichtstun. Anina und Noemi bauen sich eine eigene Küche. Ihre Devise ist: Jeder Strand braucht seine eigene Küche. Eenn es dann ums richtige Essen geht, ist ihre Küche schnell vergessen. Oder doch nicht? Wie wäre es mit einem leckeren Sandkuchen zu den feinen Yamswurzeln? Es knirscht dann so schön zwischen den Zähnen…
Unsere Schatzinsel liegt auf dem Korallengürtel, der vor Niuatoputapu liegt. Bevölkert wird sie nur von Vögeln. Wie gross ist dieses Eiland wohl? Die Neugierde hat mich gepackt und ich mache mich auf, die Insel zu umrunden. Bereits nach zehn Minuten wäre ich wieder bei unserem Rastplatz, wenn es da nicht so viel zu sehen gäbe.
Zur Zeit ist Ebbe und eine weite Fläche ist vor dem eigentlich, schmalen Strand sichtbar. Diese Ebene besteht nicht aus Sand, sondern aus Korallen und spitzigen Steinen. Bei näherem Betrachten sind viele, kleine Toblerone-Vulkane zu erkennen. In jeder Wasserlache, die das Meer zurückgelassen hat, wimmelt es von Leben. Kleine Fische und Krebse verstecken sich geschwind, wenn mein Schatten über ihrem Reich auftaucht.
Die Brandung ist weit in der Ferne zu sehen und zu hören. Über die schlüpfrigen Steine und scharfen Korallen ist der Rand des Korallengürtels für mich unerreichbar. Es ist ein komisches Gefühl hier auf dem Trockenen zu wandern und in ein paar Stunden ist dies alles wieder mit Wasser bedeckt.
Hinter der Brandung erhebt sich majestätisch Tafahi unser Toblerone-Vulkan. Plötzlich vernehme ich ein ungewohntes Geräusch vom Himmel. Ein lautes Brummen. Was mag das für ein Vogel sein? Ich blicke suchend nach oben und erkenne einen Regenbogen farbigen Lenkdrachen, der geschwind seine Kreise zieht. Jamie lenkt den Drachen geschickt und immer wieder flitzt er nur wenige Zentimeter über den Boden hinweg.
Die Rückfahrt mit dem Dingi verspricht eine weitere Herausforderung zu werden. Unsere PANGAEA liegt nämlich genau in Windrichtung. Aufkreuzen ist also angesagt. Ob es dafür nicht etwas zu viel Wind hat? Christoph ist zuversichtlich und beginnt die Revanche mit der SIANDRA. Und siehe da, schon nach kurzer Zeit liegen sie weit hinter uns. Wir scheinen die bessere Linie erwischt zu haben. Vor jedem Korallenfleck, der seichtes Wasser anzeigt, fahren wir eine Wende. Irgendwann wird uns das zu langweilig und wir fahren einfach darüber hinweg. Der Wasserstand ist mit der Flut so hoch, dass wir nirgends anstossen.
Am Ziel angekommen müssen wir lange warten, bis Niki und Jamie zu uns stossen. Dieses Mal hatten sie Probleme mit Wasser im Boot. Irgendwo muss ein Loch im Rumpf sein!
 
Bei Christoph traten kurz vor der Abfahrt in Apia wieder Anzeichen der Hautinfektion am Bein auf. Die Behandlung mit diversen Salben brachte nicht das gewünschte Resultat. Antibiotika wollte er nicht mehr schlucken, da er dieses Präparat bereits zwei Mal zu sich genommen hat. In der Zwischenzeit ist der Abszess so gross und schmerzhaft geworden, dass er kaum noch gehen kann. Für heute Samstag will er einen Schiffstag einlegen und sein Bein ruhig stellen.
Ich möchte mit Anina und Sina einen Ausflug unternehmen. Trotz seines schmerzenden Beines bringt uns Christoph an Land und setzt uns das Faltvelo zusammen. Kurze Zeit später rudert er mit Noemi zurück zur PANGAEA.
Ich fahre der Naturstrasse entlang Richtung Hauptort Hihifo. Anina sitzt auf dem Gepäckträger und hält sich an der Sattelstange fest. Sina geniesst es einmal mehr, im Tragtuch ganz nah bei mir zu sein. Der kleine Ofen auf dem Rücken bringt uns beide ganz arg ins Schwitzen.
Immer wieder mache ich einen kurzen Stopp, um ein Bild zu schiessen. Jedesmal bin ich sofort von einer Schar Kinder umzingelt, die immer und immer wieder den gleichen Spruch bringen: „Give me Lolly!". Es ist unmöglich, sie davon zu überzeugen, dass ich keine Süssigkeiten habe. Diese Kinder sind so unverschämt, dass sie sogar ihre Hände in die Velotaschen stecken, als ich neue Batterien für den Fotoapparat hervor nehmen will. Weiterfahren ist wohl die einzige Möglichkeit, diesem ständigen Betteln und Fordern zu entfliehen. Ich erfahre später den Grund für diese ständige Fragerei nach Süssigkeiten: Es gibt immer wieder Yachtis, die riesige Mengen von Lollys kaufen und diese den Kindern dann haufenweise verschenken. Die angefaulten Frontzähne in ihren braunen Gesichtern mit den dunklen, grossen Augen erzählen die Schattenseite der feinen Zuckerware.
Ich bin noch nicht weit gekommen, als mir eine junge Frau auf ihrem Fahrrad folgt. Sie verwickelt mich in ein Gespräch und lädt uns am Sonntag zur Kirche und zum Mittagessen ein. Auf der Weiterfahrt bin ich mir nicht mehr so sicher, ob ich sie richtig verstanden habe. Nun, wir werden es morgen sehen.
Niuatoputapu ist nicht sehr gross. Nach kurzer Zeit komme ich in Hihifo an. Ich entdecke einen wunderschönen Platz direkt am Wasser. Eine kleine Steinbank steht unter einem Schatten spendenden Baum. Hier könnte ich stundenlang verweilen. Das Schöne ist, dass ich hier nicht von einer Schar bettelnder Kinder umringt bin.
Die Inselstrasse führt um die ganze Insel herum. An der Nordküste, dort wo das Korallenriff vorgelagert ist, sind die drei Siedlungen der Insel zu finden: Falehau, Vaipoa und Hihifo. Auf der Südostseite reiht sich eine Plantage an die andere. Hier werden die unterschiedlichsten Pflanzen kultiviert: Maniok, Taro, Süsskartoffeln, Brotfrucht, Bananen, Papayas und Kokosnüsse. Die Strasse wird auf beiden Seiten von riesigen Mangobäumen gesäumt. Zur Zeit verströmen sie noch nicht ihren wunderbaren Duft, denn die Früchte sind leider noch nicht reif.
Auf dieser Seite der Insel sind nicht viele Leute zu sehen. Dass welche bei der Arbeit sind, erkennt man an den diversen Rauchwolken, die zwischen den Palmen aufsteigen. Als Brennmaterial für diese Feuer werden grüne und feuchte Kokosnuss-Schalen verwendet, damit möglichst viel Rauch entsteht. Der enorme Qualm vertreibt nämlich die vielen Moskitos. Wir haben uns mit einem Mückenschutzmittel eingestrichen. Trotzdem werden wir an unzähligen Stellen gestochen.
Die Inselringstrasse führt an diesem Teil der Insel nicht an der Küste entlang. Auf drei Stichstrassen kommt man trotzdem zum Strand. Mein Fahrrad klappert ganz schön auf dieser wenig befahrenen Naturstrasse. Auf beiden Seiten des Weges haben fünf Zentimeter grosse Spinnen ihre Kunstwerke gespannt. Die Fäden ihrer Netze glitzern silbern in der Sonne und heben sich vom dunkelgrünen Urwalddickicht ab.
Ein kräftiger Wind weht uns entgegen, als wir aus dem Palmenwald über die letzte Düne radeln. Grosse Wellen brechen sich am Korallenriff und die Luft ist mit Salzwasser durchsetzt. Der feine weisse Sand rieselt angenehm zwischen unseren Zehen durch. Der von der Ebbe freigelegte Strandteil ist von hunderten von Seegurken bevölkert und der eigentliche Strand ist übersät mit kleinen Muscheln die schon bald lustig in unserer Lunchbox klappern. Einmal mehr werden wir von einem Ausflug schwerer Beladen heimkehren als wir losgezogen sind…
Leider liegt auch an diesem Strand viel Abfall. Ob er von den Einheimischen stammt, oder ob ihn das Meer angespült hat, weiss ich nicht. Auf alle Fälle trübt er den schönen Eindruck des Strandes.
Mit vielen neuen Eindrücken und dem ständig wiederholten „give me lolly" der einheimischen Kinder, kehren wir am späten Nachmittag zur PANGAEA zurück. Das Fahrrad stellen wir im leerstehenden Zollschuppen unter. Als Zollschuppen ist das Gebäude auf alle Fälle in unserer Seekarte eingezeichnet.
 
Nun bin ich gespannt auf die Einladung zur Kirche und Mittagessen, die wir für heute erhalten haben. Ob ich wirklich alles richtig verstanden habe? Wir machen uns zeitig auf den Weg und fahren mit unseren Rädern bereits um 09:30 bei besagtem Haus vorbei. Die junge Frau kommt sogleich ans Gartentor. Der Gottesdienst sei bereits zu Ende. Die Kirche habe um acht Uhr begonnen… Wir sagen ihr, dass wir noch ein Stück weiter radeln und dann zurück kommen. Das sei in Ordnung, meint sie.
Wir fahren in Richtung Hihifo, als wir die Kirchenglocken einer Kirche hören. Die Menschen strömen zum Gotteshaus und wir beschliessen kurzerhand, auch dorthin zu gehen.
Bereits tönt der volle Gesang von duzenden Stimmen aus dem Gebäude an unsere Ohren. Ohne Mikrofon und Verstärker bringen sie den Raum zum Vibrieren. Wären nicht einige Fenster geöffnet, ich glaube die Stimmen würden sich überschlagen. Nebenbei gesagt, es handelt sich bei den Sängern nicht um einen Chor, sondern um die normalen Gottesdienstbesucher.
Die meisten Kirchgänger tragen die traditionelle Tonganesische Bekleidung. Die Männer knoten sich eine fein gewobene Palmmatte um die Hüften. Die Frauen tragen lange, europäische Röcke und binden sich zudem einen Palmgürtel um. Diese geflochtenen Gürtel sind ganz unterschiedlich verziert: mit Muscheln, Kokosnussknöpfen oder farbigen Glasperlen.
In der Garderobe der Einheimischen besteht keine Einheitlichkeit. Das Tragen von Sandalen ist aber angemessen, obgleich die Füsse zum Teil erst unter vielen Erdschichten hervorschauen.
Wir geniessen diese Stunde im Gottesdienst, obwohl wir von der Predigt kein Wort verstehen. Plötzlich schauen alle Gesichter zu uns und wir hören, wie der Pfarrer uns auf Englisch persönlich begrüsst. Nach dem Gottesdienst kommt der Pfarrer sogar bei uns vorbei und schüttelt uns die Hände.
Die Gottesdienstbesucher sind sehr freundlich aber auch neugierig. Aus den vielen Kindermündern hören wir heute kein einziges Mal die schon so oft gehörte Forderung nach Lollys. Dafür folgen uns ihre Blicke, als wir unsere Fahrräder bereit machen. Staunende Blicke (nicht nur von den Kindern) bekomme ich, als ich Sina mit dem Tragtuch auf meinen Rücken binde.
Kurze Zeit später kommen wir bei unseren Gastgebern an. Auf dem Boden des Hauses sind Palmmatten ausgebreitet und darauf die verschiedensten Speisen auf Tellern bereitgestellt. Wir möchten von Fehia der jungen Frau wissen, wo denn ihre Eltern seien. Sie hat uns nämlich erklärt, dass ihre Eltern das Essen zubereitet haben. „Die sind bei einer anderen Familie in der Hauptstadt zum Mittagessen", antwortet sie auf unser Frage.
Wir setzen uns in traditioneller Weise, im Schneidersitz, auf die Palmmatten. Diese Sitzhaltung ist für uns sehr ungewohnt und schon nach kurzer Zeit beginnen mir die Beine zu schmerzen.
Fehia erklärt uns, wie die einzelnen Speisen heissen: Talo (Taro), Manioke (Cassava), Kape (Cape), Mei (Brotfrucht), Lolongo, Lesi (Pauopauo) und Corned Beef sind auf den Tellern zu finden. Das Corned Beef scheint bei den Inselbewohnern sehr wichtig zu sein, denn jeder von uns erhält einen ganzen Teller davon. Konserven im Allgemeinen sind hoch im Kurs bei den Einheimischen. Im einzigen Laden der Insel habe ich die verschiedensten Dinge in der Dose entdeckt: Corned Beef, Spaghetti, Fisch, usw. Vor allem beim Fisch leuchtet bei mir ein grosses Fragezeichen auf. Wir sind doch auf einer Insel und der Fisch gleich vor der Haustüre.
Wir beginnen von den verschiedenen Sachen zu essen und verwundern uns, dass Fehia und ihr Bruder Kalavini nicht mitessen. Sie hätten bereits gegessen, meint sie zu unserer erneuten Frage. Von anderen Seglern vernehmen wir später, dass dies hier so üblich sei.
Anina und Noemi finden an den diversen Speisen nicht so recht gefallen. Es sind alles Dinge, die sie noch nie zu Essen bekommen haben. Erst gegen Ende des Essens packt sie die Neugierde und vor allem das Kape hat es ihnen angetan.
Fehia äussert schon kurze Zeit nach dem Essen den Wunsch, zu uns auf das Schiff zu kommen. Wir sind sehr erstaunt ab diesem Wunsch, doch verbinden wir es mit der Neugierde der Einheimischen.
So kommt es, dass wir trotz der Einladung an Land schon bald wieder auf dem Schiff sind. Fehia und Kalavini sind sehr neugierig und wollen überall wissen, was in den Schachteln und Schäften zu finden ist. Ich erzähle ihnen einige der Schweizer Bilderbücher, um ihnen einen Eindruck von unserem Land zu vermitteln. Ob sie sich Schnee vorstellen können?
Christoph macht den beiden irgendwann den Vorschlag, sie wieder an Land zu bringen, da wir uns gerne noch etwas ausruhen möchten. Die Zwei finden aber, sie wollen noch länger bei uns bleiben und erst um halb vier an Land gebracht werden…
Die Zwei werden immer neugieriger und fragen uns, ob wir Schuhe und sonstige Dinge für sie hätten. Dieses ständige Fordern wird mir irgendwann zu viel und ich bitte sie höflich aber bestimmt nun an Land zu gehen. Christoph paddelt die Zwei zum Kai zurück, was bei dem starken Wind sehr anstrengend ist.
Wir sind etwas verwirrt ab dieser Einladung. Wer war da jetzt wo eingeladen? Und dieses ständige Fordern nach noch mehr Sachen stösst uns regelrecht ab. Wir sind uns gewohnt, dass man Fremden gegenüber eine gewisse Zurückhaltung und Distanz währt, doch dies war bei Fehia und Kalavini überhaupt nicht der Fall. Wir sind nicht mit leeren Händen zu unseren Gastgebern aufgebrochen. Wir spürten aber keine Freude, als wir ihnen die Geschenke überreichten.
 
Das Bein von Christoph sieht immer schlimmer aus. Es ist bis zum Fuss stark geschwollen und das Gehen bereitet ihm starke Schmerzen. Unser erster Gang am Montag ist somit klar: zum Gesundheitszentrum. Was wird uns dort erwarten? Aus unseren Büchern wissen wir, dass der Abzess am Bein von Christoph geöffnet werden sollte, damit der Eiter abfliessen kann.
Kurz nach Neun Uhr sind wir dort und schon eine ganze Menge einheimischer Frauen und Kinder wartet auf eine Behandlung. Die Zimmer des „Spitals" sind dürftig und karg eingerichtet. Eine grösserer Behandlung würde ich hier lieber nicht über mich ergehen lassen. Nun kommt Christoph an die Reihe. Die Frau in der weissen Schürze sieht sich das Bein an, wäscht die Wunde, verbindet das Ganze und gibt ihm in einem Säcklein Antibiotika mit. Sie öffnet den Furunkel aber nicht. Wir sprechen sie darauf an, doch sie meint das Antibiotika genüge.
Wir radeln weiter und treffen unterwegs die Besatzungen von diversen anderen Segelschiffen. In der Zwischenzeit sind nämlich über sechzehn Yachten in der Lagune versammelt. Alle sprechen Christoph auf sein Bein an. Ein fachkundiger Segler meint auch, dass die Wunde geöffnet werden sollte. Das lässt uns keine Ruhe und Christoph fährt noch einmal zurück zum Healthcenter. Dort gelangt er dieses Mal an die eigentliche Ärztin. Diese besieht sich die ganze Sache und beschliesst sogleich zum Skalpell zu greifen. Mit einem Kältespray betäubt sie die Stelle und… den Rest ersparen wir unseren Leserinnen und Lesern.
Nach diesem Eingriff fühlt sich Christoph schon um Stufen besser. Bis das Bein wieder verheilt ist, werden aber einige Woche vergehen.
Nach dieser Anstrengung ruhen wir uns an meinem Traumplatz aus. Anina und Noemi sind schon nach kurzer Zeit im Wasser und Sand zu finden. Sina versucht einmal mehr vom Sand zu kosten, was ihr natürlich gelingt. Sie wird einfach immer schneller und beweglicher.
 
Trotz der vielen aufdringlichen Kinder wagen wir einen erneuten Ausflug. Wir wissen nun, dass die Kinder zur Schule müssen und dann nicht auf der Strasse anzutreffen sind.
Vom Schiff aus haben wir schon mehrere Male Pferde und Menschen auf dem von der Ebbe freigelegten Gelände beim Kai gesehen. Es nimmt uns wunder, was sie dort machen. Wir erfahren, dass es sich dabei um einen der Arbeitsschritte bei der Herstellung der geflochtenen Palmmatten handelt.
Auf den diversen Plantagen der Insel werden die Blätter der Schraubenpalme (Pandanus) abgeschnitten und zu kleinen Bündeln zusammengebunden. Als nächstes werden die Palmblätter gekocht und danach auf den Rücken der Pferde zu den Gezeitengebieten der Insel gebracht. Hier werden sie bei Ebbe ausgelegt und an einem Ende mit Steinen beschwert.
Sieben Tage liegen die Palmbündel hier aus und werden gebleicht. Jetzt haben die grünen Palmblätter die typische helle Farbe der Matten erhalten. An langen Wäscheleinen trockenen die Palmbündel unter der heissen Tropensonne und dem warmen Wind.
Die getrockneten Blätter werden zu kleinen und grossen Rollen aufgerollt und warten dann auf die Verarbeitung zu den verschiedensten Matten. Diese Arbeit ist durchwegs Frauenarbeit. In kleineren und grösseren Gruppen sitzen sie in einem Haus oder Fale zusammen, diskutieren und flechten die Matten. Wir dürfen einer Gruppe bei Ihrer Arbeit zusehen. Eine alte Frau sitzt in der Mitte und ist damit beschäftigt, die Palmblätter von den Rollen abzuwickeln und in dünne Streifen zu schneiden. Als Schneidwerkzeug verwendet sie eine einfache Nadel.
Die anderen Frauen verflechten diese dünne Streifen in ihre Matte. Wir staunen einmal mehr, wie schnell sie dabei arbeiten.
 
Niuatoputapu ist eine typische Vulkaninsel oder ein Atoll im Anfangsstadium. Der erloschene Vulkankegel erhebt sich hoch über dem ebenen Land direkt an der Küste. Dieser Vulkankegel übt eine magnetische Wirkung auf uns auf und wir müssen den Berg einfach erklimmen.
Die Sonne ist noch nicht hinter den Palmen hochgestiegen, als bereits munteres Treiben auf der PANGAEA herrscht. Das Frühstück lassen wir kurzerhand ausfallen, damit wir die Kühle des Morgens für unseren Ausflug in Anspruch nehmen können. Von anderen Seglern wissen wir, wo der Einstieg für den Bergpfad zu finden ist. In Vaipoa nehmen wir die erste Strasse vor der Kirche und folgen dieser. Nach kurzer Zeit kommen wir an ein Wellblechschiebegatter. Eine einheimische Frau fragt uns, wohin wir wollen. Sie zeigt uns, wo der Weg auf der anderen Seite der Strasse weitergeht.
Der schmale Trampelpfad führt durch diverse Plantagen bis er sich in einer Taroplantage verliert. Wo geht es jetzt weiter? Wir schlagen die ungefähre Richtung zum Berg ein und bahnen uns einen Weg durchs Unterholz. Nicht immer ist es einfach, durch das Dickicht durchzukommen. Anina und vor allem Noemi reklamieren immer mehr. Kein Wunder, für ihre kurzen Beine ist der Weg um einiges mühsamer als für uns. Sina geniesst die Wanderung auf meinem Rücken…
Plötzlich finden wir den Weg wieder und wir folgen ihm. Er wird immer steiler und das ganze wird zu einer kleineren Kletterpartie. Noch eine letzte Kurve, dann sind wir oben. Und wo ist nun der schöne Ausblick? Auf beiden Seiten der Krete versperrt uns dichtes Grün die Aussicht. Irgendwo muss es eine Plattform geben, die einen freien Blick zulässt. Welche Richtung sollen wir einschlagen? Wir entscheiden uns, nach rechts zu wandern. Der Weg führt genau der Krete entlang. Als der Weg wieder in die Tiefe führt und immer noch von dichtem Grünwerk umgeben ist, beschliessen wir umzukehren.
Die Kinder mögen nicht mehr so recht und wir suchen uns einen schattigen Platz für eine Rast. Christoph will in die andere Richtung laufen und nachsehen, ob dort der Aussichtspunkt ist. Ich bin mit den Kindern noch nicht richtig abgesessen, als wir von duzenden von Moskitos angefallen werden. Zum Glück ist Christoph schon bald wieder zurück und wir fliehen von den stechenden Biestern. Keine 200 Meter von unserem Aufstiegspunkt entfernt (in die entgegengesetzte Richtung) kommen wir auf das gesuchte Felsplateau…
Leider überfallen uns auch hier die Moskitos und es ist kein schattiger Platz vorhanden. Von den kleinen Stechinsekten wollen wir uns nicht fressen lassen und darum sind wir schon kurze Zeit später wieder auf dem Abstieg. Die Vegetation ist einzigartig, dicht und von sattem Grün. Wir sehen Bananenpalmen, Papayabäume und sogar Ananas, welche hier um Urwald wachsen. Leider sind die Ananas noch nicht reif.
Noch einmal müssen wir uns durch das Dickicht kämpfen. Doch auch dieses mal finden wir den Weg wieder und kommen ohne Umwege zurück zu unseren Fahrrädern. Bereits um zehn Uhr radeln wir mit unseren Rädern weiter auf der inneren Inselringstrasse. Unser nächstes Ziel ist der Zoll, denn wir wollen ausklarieren, um weitersegeln zu können.
Leider haben wir die Karte von Niuatoputapu nicht dabei und so wissen wir nicht, wohin unser momentaner Weg genau führt. Irgendwann führt ein kleiner Trampelpfad zur Seite weg und wir beschliessen, diesen zu nehmen. Mit den Velos ist es gar nicht so einfach, diesem schmalen Pfad zu folgen. Wo führt er hin? Als wir wieder auf eine grosse Strasse kommen, befinden wir uns direkt bei Hihifo. Es war also eine gute Entscheidung, diesen Pfad zu nehmen.
Ich überlasse den Papierkram Christoph und besuche zusammen mit Anina und Sina auf dem Rücken einen Kindergarten in der Nähe. Von der fünfzehnköpfigen Klasse ist aber nur ein Kind anwesend. Alle anderen Kinder sind krank gemeldet. Sie sind also zu Hause, hüten das Bett oder helfen ihren Eltern in den Plantagen… Der Kindergarten ist spärlich eingerichtet und die wenigen Spielsachen liegen unordentlich herum. Ich erinnere mich an meine Zeit als Kindergärtnerin, als ich mit den vielen Sachen aus der Natur immer wieder den Kindergarten umgestaltet habe. Das wäre hier sicher auch möglich. Bedenklich stimmt mich vor allem, wenn ich sehe wie mit dem Material umgegangen wird, dass der Kindergarten geschenkt bekommen hat. Alles liegt auf dem Boden herum.
Christoph war leider nicht so erfolgreich beim Ausklarieren. Im Office haben sie den nötigen Stempel nicht gefunden… Christoph soll am Nachmittag wieder vorbeikommen, dann sei der Beamte wieder da.
Nach dem Mittagessen an unserem vertrauten Traumplatz genehmigen wir uns ein Bad im einzigen Süsswasserpool der Insel. Einmal mehr sind wir nicht alleine. Das heisst, im Wasser sind wir es. Etliche Schulkinder stehen oberhalb des natürlichen Pools oder setzen sich auf die Mauer und staunen uns an. Baden wir anders, als sie es tun?
Den begehrten Stempel erhalten wir doch noch und wir schliessen diesen ereignisreichen Tag mit der Umrundung der Insel ab. Die Beine unserer Kinder sind übersät mit vielen Mückenstichen. Es ist unglaublich, denn sie haben lange Kleider getragen und wir haben sie mit Mückenschutzmittel eingeschmiert. Zum Glück gibt es da noch die Eucéta-Salbe, die uns das Grosi aus der Schweiz mitgebracht hat. Diese Salbe bringt einiges an Linderung für die juckenden Stiche.
Wir sind müde und möchten so schnell wie möglich in Bett. Morgen wollen wir wieder in See stechen um nach Vava'u zu segeln. Ich bin mit dem Abendessen beschäftigt, als plötzlich ein anderes Dingi zu unserem Schiff braust. An Bord ist Fehia und sie springt kurzerhand auf unser Schiff. Die Besatzung des Dingis meint nur, sie hätten da einen Gast für uns… Sie fragen uns, ob dies in Ordnung sei. Nein, denn wir sind überhaupt nicht auf einen Gast vorbereitet. Fehia erklärt Christoph, dass ihr Vater Bananen und Papayas für uns bereitgestellt habe. Was sollen wir jetzt machen? Die Fahrräder sind alle schon an Bord und das Dingi bereit um an Bord geholt zu werden. Wir geben Fehia zu verstehen dass wir und die Kinder müde sind und bitten sie mit dem anderen Dingi wieder an Land zu gehen. Wir wollen versuchen, die Früchte morgen früh bei ihr abzuholen.
Wir sind hin und her gerissen. Sollen wir diesen Aufwand wirklich auf uns nehmen und was ist die Forderung, wenn wir wirklich vorbei gehen? Wir wollen die Nacht darüber schlafen und am Morgen entscheiden.
 
Es ist ruhig geworden auf dem Ankerplatz. Heute Morgen befanden sich noch 16 Segelschiffe in der Lagunge. Jetzt sind es mit uns noch drei!
 
© Susan & Christoph Manhart, SY PANGAEA