Logbuch SY PANGAEA / Red Sea
 
Drinnen - Draussen

11.04 - 17.04.2005

 
Nach zehn Stunden oder 40 Seemeilen ist das ruhige Wetter vorbei. Der Wind pfeift aus Nord mit über 20 Knoten. Gegenangehen hat keinen Sinn. Der nächste Schutz bietende Ankerplatz liegt sieben Seemeilen im Südwesten. Es fällt uns schwer, die gutgemachten Meilen in den Norden wieder zu verschenken, doch wir haben keine Wahl.
Der Ankerplatz liegt im Windschatten einer Phosphatverladestation. Gemäss Red Sea Pilot ist ankern nur sinnvoll, wenn kein Schiff verladen wird. Diesem Tip können wir nur zustimmen. Wir erinnern uns noch gut an unsere Liegezeit auf Christmas Island mit dem feinen Phosphatstaub, der in alle Ritzen dringt.
Die Sicht ist schlecht und erst in unmittelbarer Nähe zur Küste können wir die Umrisse der Landschaft ausmachen. Leider liegt ein grosser Frachter an unserem gewünschten Ankerplatz. Eine dichte Phosphatwolke weht von ihm weg. Ankern? Nein danke! Doch bis zum nächsten Ankerplatz sind es weitere zehn Seemeilen in den Süden. Das ist uns zu viel und wir entscheiden uns, beizudrehen. Die HARLEKIN war zum Zeitpunkt der Windzunahme sieben Seemeilen vor uns. Auch sie hat umgedreht und wollte den Ankerplatz bei der Phosphatverladestelle anlaufen. Jetzt ist sie auf gleicher Höhe wie wir. Immer wieder scheint der Wind nachzulassen und die HARLEKIN startet einen erneuten Versuch in den Norden zu motoren. Nach drei Versuchen gibt sie auf und steuert El Quseir, den schon erwähnten Ankerplatz im Süden von uns an. Der Katamaran verschwindet hinter jedem Wellenberg, um im nächsten Augenblick auf dem Wellengipfel zu verharren und ins nächste Tal zu stürzen. Schnell entschwindet HARLEKIN unseren Blicken.
PANGAEA liegt recht stabil im Wasser mit back stehenden Vorsegel und blockierten Ruder. Beigedreht bleibt das Schiff aber nicht an Ort und Stelle stehen, sondern Wind und Strömung treiben das Schiff übers Wasser. Der Blick aufs GPS verrät, dass wir mit 1.5 Knoten dahin driften. Nach Süden natürlich… Die kurzen, steilen Wellen bringen PANGAEA ein wenig ins Schaukeln. Im Innern ist es angenehm ruhig.
Vier Stunden treiben wir nun schon beigedreht in den Wellenbergen. Die HARLEKIN ist in El Quseir angekommen und liegt vor Anker. Wie lange wird der Wind in dieser Stärke weiter blasen? Dauert das ganze lange genug, werden wir ebenfalls vor El Quseir ankommen. Dem wollen wir zuvorkommen und ebenfalls zügig vor Anker gehen. Wir setzen das kleine Vorsegel und brausen vor dem Wind in den Süden. So stellen wir uns Segeln vor! Eine Stunde später werfen wir den Anker neben der HARLEKIN und der LA ROSSA ins Wasser. Ein wenig Dünung finden den Weg in die offene Bucht, doch wir liegen definitiv ruhiger, als auf dem offenen Wasser.
Es vergeht keine viertel Stunde, da steuert ein kleines Boot auf uns zu. Wir werden von der HARLEKIN gewarnt, dass der eine Insasse sich als Polizist ausgebe und sehr aufdringlich sei. Wir sollen ihm auf keinen Fall unsere Pässe mitgeben. Das Ruderboot kommt näher. Ein alter Mann paddelt und ein jüngerer Mann sitzt am Bug. Nach Polizei sieht das nicht aus. Die zwei offerieren uns, Lebensmittel und Diesel vom Land zu besorgen. Wir lehnen dankend ab, denn wir sind mit allem eingedeckt.
Eine weitere halbe Stunde vergeht und das gleiche Boot kommt noch einmal angerudert. Wieder paddelt der alte Mann. Der andere Passagier hat gewechselt. Der junger Bursche im Tarnanzug verlangt an Bord gelassen zu werden. Wir haben keine Chance nein zu sagen, denn das Schiff legt einfach im Heck an und die zwei Insassen steigen an Bord.
Der junge Mann behauptet von der Polizei zu sein und er müsse unsere Papiere kontrollieren. Englisch spricht er kaum und auch sein Begleiter versteht nur Arabisch. Wir legen den beiden all unsere Papiere vor, doch sie sind damit nicht zufrieden, denn sie können die Unterlagen nicht lesen. Wir sind verwirrt, denn das Einklarierungspapier von Port Ghalib ist in Englisch und Arabisch abgefasst. Nach einem schwierigen und komplizierten Dialog scheint der junge Polizist die nötigen Angaben auf seinem Papier notiert zu haben.
Jetzt will er plötzlich noch das Innere unseres Schiffes sehen. Das geht uns eine Spur zu weit und wir sagen nein. Interessanter weise akzeptiert er unser nein ohne murren und beide Ägypter verlassen augenblicklich unser Schiff. Ob das der letzte Besuch gewesen ist?
Manfred und Renate, laden uns und die HARLEKIN-Crew am Nachmittag zu einem gemütlichen Umtrunk auf die LA ROSSA ein. Unsere Kinder geniessen es, wieder einmal ein neues Schiff erkunden zu können. Wir Erwachsenen spinnen Seemansgarn und versuchen natürlich das Wetter im Roten Meer in eine Formel zu packen: Geduld plus Flaute gibt Maschinenfahrt bis zum nächsten Gegenwind… Und gerade als wir diese Formel zur Anwendung freigeben wollen, nimmt der Wind schlagartig ab. Kurze Zeit später rasselt unsere Ankerkette in ihren Kasten am Bug. Es ist dunkle Nacht und wir stechen in See. Den Anfang der kommenden Strecke kennen wir ja bereits. Wir sind gespannt, wie weit wir dieses Mal kommen werden.
 
Wir sind zu schnell… Unser Ziel ist die Bucht nördlich von Safaga. Es ist noch dunkel, als wir die Riffe erreichen, die der Bucht vorgelagert sind. Wir stellen den Motor ab und lassen uns auf der spiegelglatten See treiben. In der Nähe schimmert das Navigationslicht der HARLEKIN. Auch sie waren zu schnell.
Die Dämmerung setzt ein, und wir fahren zwischen den Riffen in die grosse, weitläufige Bucht ein. Die MeNeVado liegt an der Nordseite in einer kleinen, zu einem Ressort gehörenden Marina. Sie haben uns auf diesen Ort aufmerksam gemacht und vom genialen Preis/Leistungs Verhältnis geschwärmt. Zwei Italienische Schiffe fahren soeben aus der Marina aus. Sie beschreiben uns den Weg zur Einfahrt, denn Seezeichen sind keine vorhanden, so neu ist die Marina. Sie erklären uns auch, dass wir unbedingt Leinenhilfe in der Marina benötigen, sonst sei das Anlegen zu gefährlich…
Trotz mehrmaligem Aufrufen auf der Funke, meldet sich die MeNeVado Crew nicht. Sie scheinen noch in den Kojen zu liegen. Wir sind hin und her gerissen, ob wir wirklich hier bleiben sollen. Das Meer ist so ruhig und es weht absolut kein Wind. Nach unserer Formel müssten wir weiter. Doch einen Tag lang dürfen wir sicher eine Pause einlegen… Norbert und Ingrid entscheiden sich gleich wie wir. Die Aussicht auf gratis Wäsche waschen und eine heisse Dusche helfen natürlich bei der Entscheidung sehr.
Wir werfen den Anker und beginnen unser Schiff aufzuräumen. Die LA ROSSA gesellt sich ebenfalls zu uns. Zu dritt warten wir nun, bis die Marina zum Leben erwacht. Dann geht es Schlag auf Schlag und nach kurzer Zeit liegen wir mit Bug- und Heckleinen fest vertäut am Steg. Es ist lange her, dass wir in einer Marina waren. Ein komisches Gefühl, ohne Dingi an Land steigen zu können.
Jetzt ein Schwumm im Pool und anschliessend eine heisse Dusche. Das wär's. Doch halt, zuerst die Arbeit, dann das Vergnügen. PANGAEA ist mit einer dicken Schicht Salz und Sand bedeckt. Wanten, Taue, Segel, Deck, einfach alles ist mit diesem Mix einbalsamiert. Es ist dringend an der Zeit, unserem Schiff eine Süsswasserdusche zu gönnen.
Wo fängt man in einem Treppenhaus mit der Arbeit an? Richtig, im obersten Stockwerk. Genau so machen wir es auch bei der PANGAEA. Der höchste Punkt ist bei ihr der Masttop des Hauptmasten. Den Wasserschlauch am Trapezgurt befestigt, hangle ich mich in die Höhe. Eine braune Sauce rinnt dem Segel und Masten entlang in die Tiefe.
Susan hat sich das Innere von PANGAEA vorgenommen. Der Sand des Roten Meeres hat nicht nur an Deck seine Spuren hinterlassen, sondern auch unter Deck. Alles und wirklich alles, ist mit einem feinen Sandfilm bedeckt. Und unsere drei Girls dürfen das Cockpit auf Hochglanz bringen… Fast alles Wasser bleibt dort, wo es hingehört. Ihr fröhliches Lachen dringt bis zu mir hinauf.
Auf der HARLEKIN und der LA ROSSA wird ebenfalls fleissig geputzt, geschrubbt und poliert. Bleibt nur zu hoffen, dass wir im noch vor uns liegenden Teil des Roten Meers keinen Sandsturm mehr erleben werden. Wir sind zuversichtlich und spritzen sogar unsere Segel ab. Nach dieser Dusche fühlt sich der Segelstoff gleich anders an.
Geschafft! PANGAEA glänzt wieder und wir sind reif für noch mehr Wasser, nur warm sollte es dieses Mal sein. Wir schlendern durch die riesige, neue Anlage des Abu Soma Resorts. Wir stauen ab all den Details, die wir in Mosaiken am Boden und an den Wänden entdecken. Als wir die Eingangshalle des Komplexes betreten, wähnen wir uns in einer Kirche. Hoch über uns leuchten die farbigen Fenster einer Kuppel.
Das Ressort ist noch im Bau und einige Gebäude, wie auch die Grünflächen sind eine Baustelle. Trotzdem ist die Anlage in Betrieb und die Gäste tummeln sich um das grosse Freiluftpool, sonnen sich am Strand oder geniessen ihre Mahlzeit in einem der zehn Restaurants. Als Marinalieger dürfen wir all die Annehmlichkeiten benutzen, ohne ein schlechtes Gewissen zu haben. Die heissen Duschen sind ein Genuss und es ist nicht nur bei uns Erwachsenen ein Kampf, unter dem heissen Wasserstrahl der schönen, geräumigen Duschen hervorzutreten. Auch unsere Kinder könnten Stundenlang verweilen.
 
Wir befinden uns in einer Oase. Rund um das Ressort herum ist Wüste. In einiger Entfernung sehen wir die Gebäude der Stadt Safaga. Die Touristen, die in diesem Ressort Urlaub machen, kommen vor allem wegen der Sonne, Wärme, Unterwasserwelt und um den unterschiedlichsten Wind-Sportarten zu frönen. Und Wind hat es wieder jede Menge. Die Flaute hat nur kurz angedauert und bereits am Tag nach unserer Ankunft, pfeift es gewaltig aus Norden übers Wasser. Die Windsurfer wissen das zu schätzen, wir Fahrtensegler nicht…
Im Ressort können die unterschiedlichsten Ausflüge gebucht werden. Es werden Touren nach Luxor und anderen bekannten Städten der Umgebung angeboten. Wir beschränken uns auf das Nahe Safaga. Zusammen mit anderen Seglern habe ich die Möglichkeit mit einem lokalen Taxibus in die Stadt zu fahren. Der Marina Manager hat uns die Fahrgelegenheit organisiert. Wir passieren den monumentalen Eingangstriumphbogen und befinden uns in einer anderen Welt.
Vom Glanz des Ressorts ist in der Einkaufsstrasse von Safaga nichts zu spüren. Die Strasse ist unbefestigt, staubig und in der Mitte klafft eine riesige Baugrube. Wacklige Holzbretter ermöglichen einem den Zugang zu den kleinen Läden. Gemüse, Früchte, Fleisch, Gewürze, Eier, alles ist zu finden, doch die Sachen müssen zusammengesucht und die Preise wollen vergleichen sein. Handeln ist angesagt. Ein mir unbekanntes und ungewohntes Einkaufen. Interessant ist, dass ich bei jedem Produkt weniger bezahlte, als der Verkäufer ursprünglich wollte. Für das Kilo Tomaten bezahle ich 3 Ägyptische Pfund (60 Rappen) und für das Kilo Kartoffeln 1 Pfund…
Viel zu schnell geht die Zeit vorbei. Die anderen Segler möchten zurück ins Ressort. Sie wollten lediglich einkaufen. Die Kosten für das Taxi von 20 Pfund teilen wir uns. Der Rest des Tages ist mit Motorarbeit ausgefüllt: Oelwechsel und allgemeine Kontrolle. Nur gut, kann man nach einer solchen Arbeit eine unendlich lange Dusche nehmen.
Es ist unglaublich, was den Ressortgästen alles geboten wird. Heute Abend um 19 Uhr steigt eine Kinderparty. Anina ist sofort Feuer und Flamme. Doch nach dem Abendessen fallen der guten Damen bereits die Augen zu. Tja, unsere Kinder sind Frühaufsteher, dafür gehen sie am Abend zeitig ins Bett. Wir Erwachsenen möchten auch ein wenig den Abend gemeinsam geniessen.
 
200 Liter Diesel sind bestellt und diese sollen heute geliefert werden. Das Beliefern der Yachten mit Diesel scheint nicht ganz Legal zu sein, denn die begehrte Flüssigkeit wird irgendwann in Kanistern und nicht mit einem Tanklastwagen geliefert. Dafür stimmt der Preis. Wir bezahlen für den Liter lediglich 20 US-Cent.
Susan hat heute die Möglichkeit, mit nach Safaga zu fahren. Sie will versuchen, etwas länger in den Gassen der Stadt verweilen zu können. Sie geniesst es, zu schauen, zu entdecken und zu geniessen. Als Frau ist es nicht unproblematisch, alleine in einer Ägyptischen Stadt unterwegs zu sein. Die Belästigungen und Annäherungsversuche der Männer sind ekelhaft. Das ist der Grund, weshalb Susan Sina mitnimmt. Ein Kind ist in diesem Land untrügliches Zeichen, dass eine Frau verheiratet ist und zu Hause der Ehemann wartet.
Anina und Noemi haben von der JÖKE eine Einladung zum Pfannkuchenessen erhalten. Der Papa klemmt sich hinter die Tastatur, bis der Diesel geliefert wird. Keine zwei Stunden nach ihrer Abfahrt, steht Susan wieder an Bord… Das war ja noch kürzer, als mein Ausflug. Was ist geschehen? Der General Manager des Ressorts verbot dem Marina Verantwortlichen, den Yachtis ein lokales Taxi zu bestellen. Die Segler müssen ab sofort ein Taxi des Ressorts nehmen und das kostet für zwei Stunden 105 Pfund. Es gibt keine andere Möglichkeit mehr, das Ressort zu verlassen. Eingesperrt im Luxusgefängnis…
Ein solches Taxi mussten also die HÖÖLOPLOP-Crew und Susan nehmen, um nach Safaga zu gelangen. Der Fahrer wollte die drei nicht einmal zur Baustellen-Einkaufsstrasse bringen, da er angst um sein schönes Fahrzeug hatte. Erst nachdem Susan in höflich, energisch darum gebeten hatte, bequemte er sich dazu, dem Wunsch der Fahrgäste nachzukommen. Die zwei Stunden waren natürlich schnell vorbei und die Krönung des Ausfluges folgte bei der Rückkehr: Überzeit. Die Fahrt habe fünf Minuten länger als zwei Stunden gedauert und das koste 15 Pfund extra…
Der Diesel wird am späten Abend geliefert, nachdem ein plötzlich aufgetauchter Beamter des Zolles wieder verschwunden ist. Der Brennstoff ist in alte 20 Liter Ölkanister abgefüllt. Ob die Menge stimmt und auch wirklich nur Diesel in den schmutzigen Kanistern zu finden ist? Die 10 Kanister wollen umgefüllt werden. Bei der Badeplattform richte ich mir die Umfüllstation ein. Voller Kanister oben, leerer unten. Dann wird mit dem Mund durch ein Schlauch der Diesel angesaugt und rinnt dank der Schwerkraft in den leeren Kanister. Nur gut, bekomme ich nie einen Schluck ab. Auch auf den anderen Schiffen wird fleissig Diesel umgefüllt. Bei der LA ROSSA sind es 400 Liter. Eine Stunde später ist die Arbeit erledigt und ich weiss, dass die Menge stimmt und der Kraftstoff sauber ist.
An das Bad im Pool mit anschliessender heisser Dusche nach getaner Arbeit könnte man sich durchaus gewöhnen. Und was hat im Anschluss das Unterhaltungsprogramm zu bieten? Um 21 Uhr findet unter freiem Himmel eine Ägyptische Tanzvorführung statt. Susan und Heidi von der WINDROSE lassen sich von der späten Stunde nicht abschrecken und mischen sich unter die wenigen Zuschauer. Wie es scheint, wird den Hotelgästen zu viel geboten, denn das Interesse an dieser guten Vorführung ist gering.
 
Die Regeln haben erneut geändert. Ab sofort darf man sich wieder ein lokales Taxi kommen lassen. Der Hotel Manager scheint realisiert zu haben, dass welterfahrene Fahrtensegler nicht den Schutz und Komfort der Hoteltaxiflotte benötigen. Wir sind froh darüber und machen uns dieses Mal als ganze Familie auf den Weg in die Stadt. Wir wollen uns Zeit lassen und auch die engen Gassen von Safaga erkunden. Heidi begleitet uns. Zuerst der Einkauf oder der Bummel durch die Gassen? Für den Lastenträger ist die Antwort klar.
Die Gassen sind eng, verwinkelt und sauber, doch alle Häuser scheinen in unseren Augen baufällig zu sein. Dem Gebäudeunterhalt wird hier keine grosse Bedeutung beigemessen. Immer wieder treffen wir auf einen kleinen Einkaufsladen, der von Büchsen über Gemüse und Früchte alles Nötige zu bieten hat. Wir verweilen auf einem kleinen Platz, schauen uns um. Kinder, Frauen und ein paar ältere Männer sitzen im Schatten. Susan möchte ein paar Aufnahmen machen und bekommt die Einwilligung. Für die Menschen scheint es ungewohnt zu sein, dass sich Fremde so weit in die Gassen hineinwagen und dann auch noch stehen bleiben.
Von einer jungen Frau werden wir aufgefordert, in ihr Haus einzutreten und Tee zu trinken. Wir zögern, die Einladung anzunehmen. Die Neugierde siegt und wir treten ein. Heidi erweist sich als grosse Hilfe, denn sie spricht und versteht ein wenig Arabisch. Uns ist diese Sprache absolut fremd.
Wir werden in einen kleinen, hohen Raum geführt. Er ist quadratisch und etwa 10m² gross. Nur wenig Tageslicht dringt durch ein schmales Fenster in Deckennähe ins Innere. Eine nackte Neonlampe brennt an der Decke und in einer Ecke läuft lautstark ein Fernseher. An den Wänden gegenüber des Fernsehers stehen einfache Sofas. Heidi erklärt uns, dass in diesem Raum die älteren Frauen der Familie schlafen. Die jungen Bewohner hätten meistens kein Bett.
Immer mehr Frauen und Kinder gesellen sich zu uns in den Raum. Unsere Gastgeberin tritt mit einem kleinen Tablett ein. Teekanne und Tassen sind sorgfältig darauf angerichtet. Auf dem Boden sitzend gibt sie zwei gehäufte Löffel Zucker in jede Tasse und giesst anschliessend den Tee darüber. Sogar die Kinder erhalten eine eigene, miniatur Tasse. Der strenge Tee schmeckt leicht bitter und doch extrem süss.
Susan möchte von den Frauen ein paar Bilder machen und fragt um Erlaubnis. Die älteren Frauen sind gar nicht damit einverstanden, erheben sich und verlassen augenblicklich den Raum. Oups, hoffentlich haben wir jetzt nichts unhöfliches gemacht. Den jungen Frauen scheint die Kamera nichts auszumachen. Heidi versucht eine Unterhaltung zu führen, was aber nicht einfach ist. Die Bewohner sprechen kein Englisch und das Arabisch von Heidi reicht für eine angeregte Unterhaltung nicht aus. Etwas hilflos sitzen wir auf dem Sofa. Der Fernseher läuft noch immer. An der Wänden hängen Posters von westlichen Popstars und gleich daneben ein Bild vom Zentralheiligtum des Islam in Mekka.
Wann ist eine Einladung zum Tee in einem arabischen Haus zu Ende? Wann soll oder darf man als Gast wieder gehen? Wir sind alle etwas ratlos. Heidi ist sich auch nicht ganz sicher, ob sie unsere Gastgeberin richtig verstanden hat. Wenn ja, dann haben die Frauen soeben ein Huhn geschlachtet und wollen uns zum Mittagessen im Haus behalten. Sollte das wirklich der Fall sein, dann werden wir vor dem Abend nicht mehr weiter kommen. Wir überlegen uns, wie wir uns höflich entschuldigen und dann entfernen können. Heidi hat das beste Argument: Ihr Mann wartet zu Hause auf sie und sie müsse unbedingt zu ihm und das Essen kochen. Einer solchen Entschuldigung kann keine arabische Frau etwas entgegen halten.
Immer mehr Menschen versammeln sich vor dem Eingang in die Wohnung, wo wir uns befinden. Es scheint, dass die ganze Nachbarschaft von uns Wind bekommen hat und uns begutachten will. Nicht nur Frauen und Kinder, sondern auch Männer befinden sich in der Menge und diese geben ganz klar den Ton an. Unsere drei Mädels sind hoch begehrt. Vor allem die blonden Haare sind für die Einheimischen ungewohnt. Immer wieder werden Anina, Noemi und Sina angefasst und betatscht. Die Leute werden immer ausgelassener und alle wollen fotografiert werden. Es wird höchste Zeit, dass wir das Weite suchen. Noch lange hören wir das Geschrei der Kinder hinter uns.
Durch die engen Gassen suchen wir unseren Weg zurück zur Marktstrasse. Immer wieder müssen wir stehenbleiben, schauen und staunen. Die vielen westliche Babywerbungen springt uns regelrecht an. Sie erscheint uns völlig deplaziert.
Trotz der bereits fortgeschrittenen Zeit können wir uns mit Gemüse, Früchten, Brot und Fleisch eindecken. Beim Letztgenannten sind wir uns lange unschlüssig, ob wir wirklich zugreifen sollen. Die Hühner sind uns eine Spur zu frisch, denn sie gackern noch in ihren engen Käfigen neben der Metzgerei. Dafür sieht das Fleisch der halben Kuh, die mitten im Verkaufsraum hängt, nicht schlecht aus. Wir erstehen zwei Kilogram und sind nun gespannt, wie zäh das Stück ist.
Wie kommen wir zurück in unser Ressort? Wir stoppen etliche Taxibusse und führen Preisverhandlungen. Wir wissen, welcher Preis angemessen ist. Es dauert eine ganze Weile, bis wir einen Fahrer finden, der uns für diesen Preis zurück befördert. Ganz schön anstrengend, so einzukaufen.
 
Fl + Gd = Mf … Die Formel ist in unserem Gedächtnis eingebrannt und wir können sie jederzeit zur Anwendung bringen. Alle Wetterquellen sind sich einig: Eine Flaute (Fl) kommt und unsere Geduld (Gd) hat sich gelohnt. Kurz vor dem Eindunkeln lösen wir die Leinen und fahren aus der Marina aus. Ein kleines Stück ausserhalb ankern wir. Eine Mütze voll Schlaf wollen wir uns gönnen, bevor wir am nächsten Morgen mit Maschinenfahrt (Mf) weiter in den Norden tuckern wollen.
 
© Susan & Christoph Manhart, SY PANGAEA