Logbuch SY PANGAEA / Indian Ocean
 
Alltag auf hoher See

ein Tag im Schiffsleben von Noemi Sarai

 
Gemütlich und wohlig liege ich in der Bugkoje und schlafe. Ich träume von einem grossen, fliegenden Fisch, der auf unserem Deck gelandet ist. Das grelle Sonnenlicht brennt vom Himmel und blendet mich. Halt, das ist nicht die Sonne, die mich blendet, sondern der Lichtstrahl aus Anina's Taschenlampe. „Bisch scho wach?" will sie wissen. „Nei, eigentli nöd!" „Du, es schmöckt so fein nach frischem Zopf. Ich glaub es isch Sunntig!" Jetzt bin ich hellwach und höre das Wasser gegen den Rumpf von PANGAEA plätschern. Durch den Niedergang erkenne ich Papa, der im Cockpit sitzt und nach Schiffen Ausschau hält. Er hat nicht gemerkt, dass wir wach sind. Ob er eingeschlafen ist?
Es ist noch recht dunkel, als Anina und ich bereits angezogen sind und unseren Puppenkindern die Sonntagskleider anziehen. Molly erhält das gelbe Röcklein und ich kleide meine Nene in das blau-rosa Abendkleid. Keine leichte Aufgabe, die richtigen Kleider in der Bugkoje zu finden und auszuwählen.
Tab, Tab, Tab! „Nei Sina, nöd id Bugkoje!" Sie bringt dauernd unsere Spielsachen durcheinander und räumt die Gestelle aus. Am liebsten untersucht sie unsere Taschen, leert den gesamten Inhalt aus und lässt ihn einfach liegen. Aufräumen müssen wir die Unordnung dann selber. Sina ignoriert mein NEIN, steigt behende die Strickleiter hoch und setzt sich grinsend vor mich hin. Es gibt ein kurzes Handgemenge, dann schreit Sina wie am Spiess und verlässt die Bugkoje wieder. Immer noch schreiend, stapft sie in die Achterkoje zu Mama. Jetzt ist es wohl am besten, wenn ich auch zu Mama schleiche und bei ihr ein wenig kuschele.
Anina verschwindet die Niedergangsleiter hoch. Ich krieche ins Bett von Mama. Sina liegt bereits dort und kuschelt sich ganz nahe zu ihr hin. Zum Glück hat Mama zwei Seiten und so finde auch ich einen Platz bei ihr. Sie schaut etwas verschlafen aus ihren Augen. Anina hat sich zu Papa ins Cockpit gesetzt. Jetzt höre ich, wie er eine Geschichte erzählt. Schnell nehme ich mein Nuscheli und springe zu ihnen. Ich muss mich immer wieder festhalten, weil mich sonst die Bewegungen von PANGAEA herum werfen. Papa hat die Kinderbibel vor sich und erzählt die Geschichte mit den zehn Silbermünzen. Erst nach langem Suchen findet die Frau die verlorene Münze unter der schlafenden Katze. Jetzt freut sie sich, dass sie das Geldstück wieder gefunden hat.
Mama ist aufgestanden und steht an der Anrichte. Ich erkenne, dass sie zur Feier des Tages Honig auf die Zopfschnitten streicht. Sina hockt auf der schmalen Rückenlehne und schaut Mama bei der Arbeit zu. Wir essen jeweils im Cockpit, weil es hier am angenehmsten und luftigsten ist. Mama reicht alle Sachen nach oben und Papa stellt sie an einen sicheren Platz, damit nichts weg rutscht. Eine grosse Welle kann jederzeit PANGAEA treffen. Es wäre schade, wenn die feine Schoggimilch und der leckere Zopf auf dem Boden landen würden.
Zwischen die beiden Sitzbänken haben wir den Tisch gelegt. Hier sitze ich zusammen mit Sina auf einem weichen Hocker. Mama, Papa und Anina sitzen auf den Polstern auf beiden Seiten. Sie müssen sich mit den Füssen irgendwo abstützen, damit sie vom Geschaukel nicht davon rutschen. Mama stimmt das Dankeslied an und wir singen alle aus voller Kehle mit. Ein wenig schräg tönt es schon… „En guete! Mmh!"
Nach dem Frühstück geht es zur Friseurin. Ich möchte gerne den ganzen Kopf voll von kleinen Zöpfen haben. Ob ich so lange still sitzen kann? Bei Anina hat es das letzte Mal über eine halbe Stunde gedauert. Sina ist bereits wieder in der Bugkoje verschwunden und ich kann nicht mehr still sitzen. Mama gibt das Zöpfeln auf und kämmt mich lediglich.
Meine Unachtsamkeit gegenüber Sina bereitet mir nun einige Arbeit. Sie hat die Puppenkinder aus dem Hochbett genommen und entkleidet. Ich weiss ja, dass Lisa ihr Kindchen ist. Fragen könnte sie trotzdem. Jetzt muss ich darauf achten, dass sie nicht mein Regal zu plündern beginnt, wo sich meine zwei wichtigsten Truckli befinden. In den zwei Schatzkistchen bewahre ich meine Post und alle anderen wichtigen Gegenstände auf: Ein Seehundhaarspängeli, ein flaches Schnäggehüsli, eine spitzige Muschel, mein genähtes Portemonnaie welches mit vielen Kartonbatzen gefüllt ist, eine Chlure und noch vieles mehr.
Aus dem Cockpit ertönen Lieder. Papa hat mit singen begonnen, denn wir wollen Gottesdienst feiern. Schnell springen wir drei Kinder hinauf und suchen uns einen guten Platz. Papa wird sicher eine weitere Geschichte erzählen und der beste Platz ist dann auf seinem Schoss. Von hier kann ich die Bilder am besten sehen. Zu fest kuscheln will ich aber nicht mit ihm, denn bereits ist sein Gesicht wieder voll von Bartstoppeln und die piksen so fest. Am liebsten höre ich bei den Liedern einfach zu. Doch wenn mein Lieblingslied „A Sante Sana Jesu" angestimmt wird, bin ich voll dabei.
„Psst Sina! Dä Papa fangt jetzt mit dä Gschicht a!" Ein Mann reitet auf seinem Esel durch eine dunkle Schlucht. Hinter grossen Steinen verstecken sich drei Räuber und überfallen den armen Mann. Sie schlagen ihn und stehlen im den Esel. Jetzt liegt er blutend auf dem Boden. Endlich kommt ein Bischof vorbei. Er fühlt sich zu vornehm und läuft vorbei. Der Richter hat keine Zeit und eilt ebenfalls weiter. Erst ein Fremder, der eine seltsame Sprache spricht, hilft ihm. Bin ich froh, dass der arme Mann jetzt in einem weichen Bett liegen darf und sein Kopf verbunden ist.
Der Gottesdienst ist zu Ende und das Cockpit gehört nun Anina und mir. Anina baut einen Verkäuferliladen auf. Spitze! Da muss ich schnell mein Portemonnaie aus der Bugkoje holen, damit ich bei ihr einkaufen kann. Als ich durch den Salon eile, sehe ich Papa, der bereits wieder am Kartentisch sitzt und schreibt. Vielleicht ist er auch am Emails verschicken oder er kritzelt etwas in ein grosses, dickes Buch. Immer macht er irgend etwas an diesem grossen Tisch. Jetzt aber schnell ins Cockpit zum Einkaufen.
Mitten im schönsten Einkaufsbummel ruft mich Mama zur Arbeit. Ich soll ihr beim Waschen der Stoffwindeln helfen. Sina braucht die Windeln nur noch in der Nacht, doch am Morgen sind sie oft nass. Seit einigen Tagen wird der Berg mit schmutzen Windeln immer grösser und es ist höchste Zeit sie zu waschen. Mama legt sie in einen Kessel mit Salzwasser. Jetzt bin ich an der Reihe. Mit meinen Füssen stampfe ich wie wild im Kessel herum. Scheinbar werden die Windeln so sauber. Ein weiteres Mal kommen sie ins Salzwasser und ich stampfe sie sauber. Erst am Schluss spült Mama die Windeln im Süsswasser. Kurz darauf hängen sie an einem, zwischen den Wanten gespannten Seil und flattern lustig im Wind. Wenn uns kein Regenguss überrascht, sind sie am Nachmittag bereits trocken.
Ich bin immer noch im Laden, als der Kopf von Papa im Niedergang erscheint. Er hat sich den Trapezgurt angezogen. Den zieht er sich eigentlich nur an, wenn er in den Mast klettern will. Wir sind doch unterwegs und nicht am ankern. Papa scheint das nicht zu beeindrucken, er will in den Mast. Er hat sich den Fotoapparat um den Hals gehängt und schon steht er auf dem Vordeck. Anina und ich ziehen uns schnell die Schwimmweste an. Wir wollen auch nach Vorne. Wir warten aber lieber, bis Mama mit kommt. Zuerst muss sie das Tau nachziehen, an welchem Papa gesichert ist. Er ist ganz oben angekommen und Mama befestigt das Seit. Jetzt dürfen zum Bug. Hui, spritzt das Wasser hoch. Ich stehe mit Anina im Bugkorb und schaue an den Segeln in die Höhe. Mir wir schwindlig, als ich Papa ganz oben, an der Spitze des Mastes sehe. Er scheint sich nur mit einer Hand zu halten und eines seiner Beine schaut einfach in die Luft hinaus.
Es ist herrlich, so am Bug zu stehen. Schade, dürfen wir das nicht öfters, doch die Wellen sind nicht immer so klein und friedlich. Oft kommen Mama oder Papa nass ins Cockpit zurück, wenn sie am Bug etwas an den Segeln gemacht haben. Dann möchte ich nicht hier stehen. Doch heute ist es ruhig und ich darf sogar die super Schaukel testen, die Papa am Baum montiert hat. Es ist nicht einfach, auf ihr zu schaukeln, dann PANGAEA bewegt in eine ganz andere Richtung. Ich muss mich ganz gut festhalten, damit es mich nicht plötzlich aufs Deck wirft. Trotzdem macht es riesig Spass!
Mein Magen knurrt sehr laut und ich glaube, Mama hat das Knurren gehört, denn sie steht in der Pantry und kocht feine Spaghetti. Darauf freue ich mich. Ich weiss bereits, wo die Pilzbüchsen, Tomatenbüchsen, Zwiebeln, Knoblauch und Rüebli verstaut sind. So kann ich Mama zur Hand gehen und ihr beim Kochen helfen. Anschliessend darf ich Teller, Besteck und Becher ins Cockpit tragen und den Tisch vorbereiten. Wir legen nämlich ein kleines Stück Tuch auf den Tisch, welches überhaupt nicht rutscht. Dort stellen wir vor allem den Teller von Sina und mir hin, damit sie beim Essen nicht davon rutschen. Es riecht fein und wir sitzen alle im Cockpit. Papa schöpft und verteilt die Teller. Ich kann fast nicht mehr warten. „Danke Mami, für das feine Esse!" Vom riesigen Topf Spaghetti bleibt keine einzige Nudel übrig…
Mittagsstunde ist angesagt. Währenddem Sina ihren Mittagspfus hält, gibt es für Anina und mich eine Geschichte aus dem CD-Spieler. Rössli Hü ist in Afrika und durchstreift mit Owambi die Steppe. Ich liege auf den Kissen im Salon, lausche dem Abenteuer und werde dabei fein nach links und recht gewiegt. Es fällt mir schwer, die Augen offen zu halten, aber ich will auf keinen Fall einschlafen. Die Wilderer sind gefangen und Rössli Hü auf dem Weg in ein neues Abenteuer. Die CD ist zu Ende.
Ich schleiche in die Achterkabine. Hier lässt es sich so schön spielen. Die neuen Aufbewahrungsboxen verwandeln sich in Häuser und Wohnungen. Tücher werden zu Abgrenzungen für Gärten und Tiergehege. Anina hat die gleiche Idee gehabt wie ich. Natürlich will sie genau die Menschen und Tiere, die ich für meine Behausung brauche und ich muss mich lautstark wehren. Papa schimpft, weil ich mit meinem Geschrei Sina aufwecke. Mir wird es zu bunt. Ich packe mein Nuscheli und verziehe mich zurück in den Salon.
Ich frage Mama, ob sie mit mir etwas bastelt. Sie macht mit und schon bald sitzen wir am Salontisch und falten Schweinchen. Das ist harte Arbeit und ich bin lange Zeit damit beschäftigt, Papiere zu falten, Gesichter zu malen und Blumen auszuschneiden. Alle diese Sachen klebe ich auf ein braunes Papier und kreiere so einen Bauernhof. Hat jetzt nicht eine der Sauen gegrunzt?
Sina hat ihren Mittagsschlaf beendet. Leise kommt sie aus der Achterkoje getrippelt. Sie will sogleich ein Blatt Papier. Mama schlägt uns vor, mit den Wasserfarben eine Zeichnung zu machen. Das ist eine tolle Idee, denn mit diesen Farben durfte ich schon lange nicht mehr malen. Wir verschieben unser Atelier vom Salon ins Cockpit. Hier spielt es keine Rolle, wenn mit dem Wasser ein Unfall passiert. Sina sitzt neben mir und schwingt ihren Pinsel. Ich male die Katze aus der Geschichte mit den zehn Münzen. Ich mache sie aber viel bunter als in der Kinderbibel.
Manchmal spüre ich, dass PANGAEA schaukelt. Aber nur dann, wenn eine grössere Welle unter ihr durchläuft. Sonst merke ich gar nicht, dass wir unterwegs sind. Plötzlich ruft Papa: „Delphine!" Schnell lasse ich den Pinsel fallen und stürze an den Rand vom Cockpit. Tatsächlich, die grauen, schnellen Körper der Delphine flitzen durchs Wasser. Manchmal springen sie sogar aus den Wellen. Wie gerne wäre ich jetzt mit ihnen im Meer!
Die Sonne nähert sich bereits dem Horizont. Ist es wirklich schon Abend? Es scheint so, denn es gibt z'Nacht. Flöckli und Milch stehen bereits im Cockpit. Sina ist die grösste Esserin. Sie vertilgt ohne Problem drei Schüsseli voll. Immer wieder verlangt sie nach mehr. Mir genügen zwei, dann ist mein Bauch voll.
Zum Abschluss des Tages holt Papa ein Kartenspiel hervor. Jetzt muss ich gut aufpassen, dass ich den schwarzen Peter nicht am Schluss in den Händen habe. Nur noch wenige Karten, dann ist das Spiel zu Ende. Der Schwarze Kater landet bei Mama…
Schnell schlüpfe ich mit Anina in die Bugkoje. Kurz darauf gesellt sich Papa zu uns. Er legt sich zwischen uns und öffnet die Luke ein wenig. Ein Luftzug weht in die Koje und kühlt herrlich. Hoffentlich schwappt jetzt keine Welle an Deck. Wir beten und singen zusammen. Meine Augen werden immer schwerer. Papa erzählt die Geschichte von der Schiffskatze Baltasar weiter. Ich höre noch, wie der Kater dem Strand entlang spaziert, dann träume ich von Palmen und weissem Sand. Wer weiss, vielleicht sind wir morgen am Ziel und ich darf an den Strand!
 
© Susan & Christoph Manhart, SY PANGAEA