Logbuch SY PANGAEA / Indian Ocean
 
Pünktlichkeit

02.10. - 08.10.2004

 
Es ist Samstag Nachmittag und wir melden uns per Funk beim Zoll. Wir bitten darum, Einklarieren zu dürfen. Wir rechnen damit, dass wir bis am Montag auf dem Schiff verweilen müssen, bis wir an Land dürfen. Doch wir erhalten sofort die mündliche Erlaubnis, das Schiff zu verlassen und auf Direction Island an den Strand zu gehen. Der Beamte verspricht uns, sich per Funk wieder zu melden, um uns eine Zeit für das Einklarieren am nächsten Tag zu nennen.
Es ist Sonntag kurz vor Mittag. Plötzlich tönt es aus dem Lautsprecher des Funkgerätes: „PANGAEA, ich komme nun zu ihnen an Bord. Bitte nehmen sie die Leinen entgegen." Ich eile an Deck, denn das Zollschiff ist bereits längsseits… Zeit scheint auf diesem Atoll keine Rolle zu spielen, wenn sogar die Beamten ohne Vorankündigung und zu irgend einem Zeitpunkt auftauchen.
Polizei, Zoll und Quarantäne betreten unser Schiff. Wir setzen uns mit Peter an den kleinen Tisch im Cockpit, um die nötigen Formulare auszufüllen. Er ist die einzige fremde Person bei uns an Bord… Cocos ist Australisches Territorium, doch so weit vom Festland entfernt, dass hier noch eigenartigere Regeln gelten als in Christmas Island. Dass Polizei, Zoll und Quarantäne in einer Person vereint sind, wundert uns nicht mehr.
Der PoliQuaraZoll Beamte überreicht uns zum Abschluss ein Infopapier, auf dem alle Geschäftsöffnungszeiten von sämtlichen Läden des Atolls zu finden sind. Auch der Fahrplan der Fähre von Home nach West Island ist darauf zu finden.
Plötzlich beginnt das unbemannte Zollboot von PANGAEA weg zu driften. Wir haben es längsseits am Bug und Heck festgebunden. Das Bugtau hat sich gelöst und das Boot dreht sich um die Heckleine nach achtern. Schnell springe ich zur Badeplattform und drücke das kleine Schiff von unserem weg, damit es keine Kollision gibt. Peter vergisst in der Eile, seine Aktenmappe zu greifen und spring auf sein Schiff zurück. Die grossen Motoren heulen auf und er manövriert sein Boot zu unserem zurück. Mit seinem Bug zielt er genau auf unsere Steuerbordseite und bringt es fertig, mit seinem Buganker unser Schiff leicht zu rammen. Sein einziger Kommentar dazu: „Das ist nicht so schlimm und wird sicher nicht der letzte Kratzer gewesen sein." Wir sind sprachlos, und überreichen ihm seine Aktenmappe und das Bugtau. Dieses hat sich nämlich auf seinem Schiff gelöst und nicht auf unserem…
PANGAEA liegt in unmittelbarer Nähe von Direction Island vor Anker. Diese Insel ist unbewohnt und trotzdem erkenne wir an Land einige einfache Bauten. Wir sind neugierig und nach dem Einklarieren segeln wir an Land. Kokospalmen wachsen bis unmittelbar an den Strand. Überall sind die grossen harten Früchte dieser Bäume am Boden zu finden. Eine Tafel warnt: „WARNING, Falling coconuts can cause injury and damage to property. Coconuts fall regularly. PLEASE TAKE CARE!" Ein gefährliches Pflaster! Ich lasse es mir nicht nehmen und öffne eine der Nüsse. Schnell ist die fasrige Umhüllung an einem eigens dafür im Boden verankerten Eisenstab entfernt. Die harte Nuss ein paar mal gegen eine harte Kante geschlagen und offen ist sie. Viel schneller als das Öffnen gedauert hat, verschwindet das weisse Fruchtfleisch in unseren Mündern.
Zwischen den Palmen, unmittelbar am Strand, finden wir ein mit einem Wellblech überdachter Sitzplatz mit Bänken und Tischen. Vom Dach baumeln die unterschiedlichsten Plakate, Plaketten, Fahnen, Tücher und Kunstwerke. Auf jedem dieser Unikate hat sich die Crew eines Schiffes verewigt, welche Cocos besucht hat. Wir beginnen zu lesen und entziffern. Die Daten reichen bis in die 80er Jahr des vergangenen Jahrhunderts zurück und wir entdecken einige Schweizer Flaggen. „Sea Canary, 9/97, Switzerland", „SY Moonlight, August 2004, Switzerland" und viele andere sind da zu lesen. In einer einfachen Holzbox hängt ein Telefon an einem Pfosten. Es kann für lokale Telefonate und mit einer Telefonkarte sogar für internationale Gespräche verwendet werden.
Neben dem Sitzplatz befinden sich zwei grosse Wassertanks, die vom nahen Blechdach mit Regenwasser gefüllt werden. Etwas weiter abseits steht ein Toilettenhäuschen. Wir staunen, was für eine Infrastruktur auf einer unbewohnten Insel nur für die Yachtis gebaut wurde.
 
Der Wecker reisst mich aus dem schönsten Schlaf. Es ist fünf Uhr in der Früh. Wir wollen auf Home Island die sieben Uhr Fähre nach West Island erreichen. Zeit also, alle Sachen für unseren Post-Ausflug ins Dingi zu laden und aufzubrechen, denn mit unserem Dingi brauchen wir sicher eine Stunde um gegen den Wind bis zur eine Seemeile entfernten Home Island zu segeln.
Das Dingi ist mit zwei Fahrrädern, zwei Velotaschen, einem Rucksack, drei Kindern und zwei Erwachsenen voll beladen. Trotzdem segelt es zügig durch die Wellen. Der Landesteg der Fähre kommt langsam näher. Wir sind noch gute 400 Meter vom Steg entfernt, als uns die ALIISA Crew mit ihrem Motor betriebenen Dingi einholt und in Schlepp nimmt. Die Frühfähre von sechs Uhr befindet sich bereits auf dem Rückweg, braust an uns vorbei und legt am Steg an. Kurz danach sind wir auch dort. Keine zehn Meter vor der Fähre beeilen wir uns, das Dingi festzubinden, als die Fähre ihre Leinen wieder los wirft und ablegt. Alles Winken und Rufen nützt nichts, die Fähre braust davon. Sprachlos stehen wir auf der Pier. Nach unseren Erfahrungen mit dem Zoll hatten wir gedacht, dass auf diesem kleinen Atoll mitten im Indischen Ozean die Zeit keine wichtige Rolle spielt. Wir haben uns getäuscht. Um 10:45 besteht die nächste Möglichkeit, um nach West Island zu gelangen. Um 10:45 schliesst die Poststelle dort…
Eine Fahrt nach West Island lohnt sich nicht mehr. Wir bauen unsere Fahrräder zusammen und machen uns auf, Home Island zu erkunden. Wir sind gespannt, wie die Cocos Malay people leben. Die Räder holpern über perfekt gepflasterten Fahrwege. Die Strassen verlaufen schnurgerade und parallel zwischen den modernen, mit Wellblech gedeckten Häusern hindurch. Wir fahren durch ein modernes Reissbrettdorf und nicht durch ein traditionelles, malaiisches Inseldorf.
Immer wieder begegnen wir den Einheimischen auf ihren kleinen Strandfahrzeuge mit riesigen, breiten Rädern, die nicht im Sand einsinken können. Sogar die Frauen, eingehüllt in das obligate Kopftuch des Islam, sitzen mit kerzengeradem Rücken hinter dem Steuer und brausen über die Wege. Ob Motor betriebene Fahrzeuge wirklich nötig sind? Home Island ist lediglich zwei Kilometer lang und an der breitesten Stelle ein Kilometer breit.
Ein unbefestigter Feldweg führt an der Küste entlang und wir folgen ihm. Niedriges Buschwerk dominiert die Vegetation. Plötzlich stehen wir neben dem Rumpf eines Segelschiffes. Er liegt zerschmettert oberhalb des Riffes auf dem Strand. Der Alptraum eines jeden Seglers, sein Schiff auf diese Weise zu verlieren. Alles was nicht fest mit dem Rumpf verbunden war, ist abmontiert. Nur noch das Skelett des ursprünglich stolzen Schiffes ist zu sehen. Was für erschütternde Szenen müssen sich da abgespielt haben? Was ist mit der Crew geschehen? Diese Fragen bleiben leider unbeantwortet.
Was geschieht mit dem Abfall auf einer solchen Insel? Vom PoliQuaraZoll Beamten wissen wir, dass wir Yachtis unseren „verseuchten" Festlandabfall nur auf Direction Island, in einem eigens dafür angelegten Sandloch, verbrennen dürfen. Es spielt keine Rolle, ob es sich dabei um Plastik, Papier oder organische Abfälle handelt. Auf Home Island finden wir überall Recyclingbehälter für Glas, Dosen, Plastik und übrigen Abfall. Ein Lob auf dieses Umweltbewusstsein!
Die südliche Hälfte der Insel haben wir umrundet und wir befinden uns wieder im Dorf. Vor einem Gebäude finden wir die unterschiedlichsten, alten Boote und auf einem kleinen Haufen diverse, rostige Anker. Das ganze scheint eine wilde Deponie von alten Dingen zu sein, entpuppt sich aber als Inselmuseum. Im Innern des Gebäudes wird auf vielen Schrift- und Bildtafeln die Geschichte von Cocos Keeling erklärt. Leider herrscht auch hier eine gewisse Unübersichtlichkeit.
1609 entdeckt Captain William Keeling auf seiner Heimreise von Java nach England die Inselgruppe. Erst 1825 wird die erste Siedlung vom Engländer Willima Hare etabliert. Zwei Jahre später kommt John Ross mit seiner Familie nach Cocos. 1831 ist er der alleinige Verwalter und Herrscher über das Atoll. Für die Kopraproduktion holt er malaiische Arbeiter auf die Inseln. Die Herrschaft über Cocos Keeling bleibt in der Familie Ross und wird von einer Generation auf die nächste vererbt. 1836 besucht Charles Darwin auf seiner Weltreise an Bord der HMS Beagle Cocos Keeling. Es ist das einzige Atoll, das er auf seiner ganzen Reise besucht und hier entsteht seine Theorie der Atollbildung.
1978 kauft die Australische Regierung das Atoll der Ross Familie ab. Ausgeschlossen davon sind die beiden bewohnten Inseln Home und West Island. In einer Abstimmung 1984 entscheidet sich die Cocos Bevölkerung Teil von Australien zu werden. Heute sind auf Home Island etwa 450 Cocos Malay people beheimatet und auf West Island wohnt die ca. 150 Personen starke weisse, westliche Bevölkerung.
Die Cocos Malay, die heute auf Home Island zu finden sind, leben seit acht Generationen in dieser engen, isolierten und streng Familien orientierten Gemeinschaft zusammen. Sie verpflichten sich dem Islam und sprechen eine einzigartige, alte Version der Malaiischen Sprache aus Ostindien. Als Cocos 1984 Teil von Australien wurde, ordnete die Regierung an, dass die nun Australischen Bürger die gleichen Wohnverhältnisse vorfinden müssen, wie die Bürger auf dem Festland. Aus diesem Grund wurde das alte malaiische Dorf durch die heutige, moderne Siedlung ersetzt.
Für unsere Mittagsrast suchen wir uns einen schönen Strand. Der sandige Weg führt in den Norden der Insel. Das fahren mit den Velos ist anstrengend und immer wieder verlieren wir das Gleichgewicht, weil sich die schmalen Räder tief in den Sand eingraben. Gewisse Stellen lassen sich nur zu Fuss überwinden. In einiger Entfernung zum Weg erkennen wir plötzlich eine Deponie. Was wir hier zu sehen bekommen gibt uns zu denken und lässt unser schönes Bild vom Recycling wieder verblassen: Treibstoff-Fässer, alte Batterien, Solarwärmetauscher, Kühlschränke, Fahrzeuge, Kleider, Aussenbordmotoren, usw. Alles liegt zwischen den Kokospalmen zu einem hohen Berg aufgeschüttet. In einer Ecke modert ein Feuer und keine 50 Meter von der Deponie entfernt entdecken wir eine Trinkwasserfassung…
Am Nordende der Insel, finden wir unseren Traumstrand. Das Wasser ist herrlich warm und nicht tief. 50 Meter vom Strand entfernt schaut eine kleine Sandinsel aus dem Wasser. Susan und ich sind noch auf der Suche nach einem geeigneten, schattigen Rastplatz, als sich Anina und Noemi bereits auf dem Weg zur Sandinsel befinden. Sina planscht voll Vergnügen in unserer Nähe. Nur gerade für das Mittagessen lassen sich die Kinder aus dem Wasser locken. Als Dessert gibt es frische Kokosnüsse.
Mit dem Wind im Rücken rauschen wir am späten Nachmittag zurück zum Ankerplatz von PANGAEA. Morgen werden wir einen erneuten Versuch starten, unsere Post auf West Island abzuholen. Unser Ziel ist die sechs Uhr Fähre. Verpassen wir diese, müssen wir nur eine Stunde warten.
 
Um 04:00 Uhr schrillt der Wecker. Wir beladen das Dingi und wecken unsere Mädels. Gefrühstückt wird heute unterwegs im Beiboot. Der Wind bläst um einige Stufen stärker als gestern und unser kleines Schiff rauscht durchs Wasser. Wir kommen zügig voran. Das letzte Stück wird zum Kraftakt, denn der Wind bläst genau von der Pier auf uns zu. Susan legt sich in die Riemen und ich steuere. Jetzt sind wir auf der Höhe der Fähre. Passagiere und Besatzung schaut uns vom Deck aus zu, wie wir uns abmühen. Wir sind am Steg und binden das Beiboot fest. Die Motoren heulen auf, die Leinen werden losgeworfen und die Fähre legt ab. Wir stehen auf der Pier und schauen dem Schiff verdattert nach… Eine Stunde später stehen wir als Erste in der Warteschlange um an Bord zu können. Wir wollen nicht noch einmal auf dem Steg zurückbleiben.
Auf dem Sydney Highway radeln wir vom Anlegesteg in Richtung Flughafen. Dort befindet sich das Zentrum von West Island. Eine breite Schneise ist in den Kokoswald geschlagen und die geteerte Strasse schlängelt sich dahin. Steigungen gibt es keine. Der höchste Punkt auf Cocos Keeling liegt auf neun Meter über Meer.
Wir betreten das klimatisierte Postbüro. Susan nennt unseren Namen und bittet um unsere Post. „There is nothing here for Manhart" ist die kühle Antwort des Postbeamten. Das ist unmöglich. Wir wissen, dass mehrere Briefe und Pakete hier sein müssen. Ein Paket wurde sogar per DHL von den USA hierher geschickt. Der Beamte erklärt uns, dass Briefe und Pakete vom Festland mehrere Monate bräuchten, um nach Cocos zu gelangen… Der Mann hinter dem Schalter bleibt stur. Er bemüht sich auch nicht, in seinen Regalen nachzuschauen. Er weiss einfach, dass in seinem Reich nichts für uns lagert. Hat er unseren Namen wirklich verstanden? Ich lege ihm meine ID auf die Theke. In diesem Moment gibt es ein hörbares KLICK! „Ah, you are those, which were in Christmas Island and asked for holding the mail." Jetzt kommt Bewegung in die kleine Person und er überreicht uns einen ganzen Stapel Briefe und Pakete. So haben wir uns das vorgestellt.
Jetzt sind wir an der Reihe, unsere gestalteten Briefe aufzugeben. Wir wollen für die einmaligen Umschläge entsprechend schöne Marken. Hier stossen wir erneut auf Granit. Wir bekommen die üblichen Standartmarken angeboten. Erst nach wiederholtem, hartnäckigen Nachfragen entdeckt der Postmann seine exklusivere Markenkollektion. Es ist ein Puzzle, aus all den Taxwerten die richtigen Marken für die Briefe zusammen zu bekommen. Es dauert eine ganze Weile, bis jeder einzelne Umschlag fertig ist. „Bitte machen sie ganz schöne Stempel auf die Umschläge". Auf diese Bitte hin bekommen wir den Stempel selber in die Hand gedrückt… Noch nie haben wir unsere Briefe selbst gestempelt.
Neben dem Flughafengebäude entdecken wir einen schattigen Spielplatz. Hier setzen wir uns an einen Picknicktisch und öffnen die Post. Es ist schön, wieder einmal Briefe und Neuigkeiten aus der Heimat zu bekommen. Sogar die zerknüllten Zeitungen, die wir in einem Paket finden, heben wir zwecks Lektüre auf. Wir haben alles geöffnet und vermissen einen Brief vom Grosi aus Winterthur. Wir durchsuchen Velotaschen und Rucksack, können ihn aber nicht finden. Also noch einmal zum Postpalast. Der Postkönig bequemt sich dieses Mal, seine Fächer zu durchsuchen und findet tatsächlich noch einmal zwei Briefe für uns. Der vom Grosi ist auch dabei. Haben wir wirklich alle Post erhalten?
Die Flugpiste ist das Herzstück von West Island. Auf der einen Seite ist der Atoll-Golfplatz zu finden. Die Spieler müssen ihr Spiel unterbrechen, wenn ein Flugzeug landet oder startet. Welche Regeln gelten wohl, wenn ein Ball in ein Krebsloch fällt? Auf der anderen Seite der Landebahn reihen sich Wohngebäude, Verwaltungsgebäude und Lagerhallen aneinander. Wir entdecken eine kleine Touristinfo mit integriertem Museum und hoffen, hier noch weitere Infos über Cocos Keeling zu finden. Uns interessiert zum Beispiel, wovon die Menschen leben und welcher Arbeit sie hauptsächlich nachgehen. Das Gebäude ist bunt mit Bildern aus der Unterwasserwelt bemalt und das Schild „OPEN" in der Glastür lädt uns zum Eintreten ein.
Die Wände des kleinen Raumes sind mit Bildern und Zeitungsartikeln vergangener Tage geschmückt. In der Mitte des Raumes stehen hohe Stellwände mit weiteren Infos. Nur ein schmaler Gang lässt Raum, sich zu bewegen. Fünf Personen sind damit beschäftigt, Papiere zu ordnen. Zusammen mit uns, ist der Raum zum bersten gefüllt. Die Angestellten entschuldigen sich für die Unordnung und fordern uns auf, allfällige Fragen ohne Hemmungen zu stellen. Die Damen und Herren sind aber so in ihre Arbeit vertieft, dass Antworten nur zögernd und spärlich fallen. Dafür entdecken wir eine ganze Reihe informativer Broschüren.
Hauptwirtschaftszweig der Insel ist: Keiner. 1987 wird die Kopraproduktion als unprofitabel eingestuft und aufgegeben. Der Tourismus ist unbedeutend und nur wenig Reisende verirren sich auf dieser Perle im Indischen Ozean. Es scheinen Bestrebungen im Gang zu sein, dies zu ändern, denn das Flughafengebäude wird mächtig ausgebaut. Ob die Einheimischen mehr Touristen wünschen ist fraglich. Wir spüren kein grosses Interesse der Bevölkerung an uns Yachtis.
Die Australische Regierung hält das Atoll am leben, weil es ein strategisch wichtiger Ort darstellt. Der Flughafen ist vor allem für militärische Flugzeuge gedacht, die auf ihrem Flug vom und in den Nahen Osten hier einen Stopp einlegen. Die einzigen Jobs der Insel sind in der Verwaltung, Ausbildung, Gesundheitswesen, Wasserversorgung und dem Unterhalt des Flughafens zu finden. Nur wenige der Malaiische Bevölkerung geht einer Beschäftigung nach. Die Einheimischen wollen ihre Heimat nicht verlassen und die Regierung ist für ihren Unterhalt verantwortlich.
Auf keinen Fall wollen wir die Fähre verpassen, die uns zurück nach Home Island bringen soll. Frühzeitig machen wir uns auf den Rückweg zum Landesteg. Das schöne Passatwetter hat sich verändert und immer wieder regnet es leicht. Ein starker Wind bläst über die Lagune und grosse Wellen klatschen gegen die hölzernen Pfosten des Steges. In der Ferne sehen wir die Fähre heran brausen. Bei diesem Wind und diesen Wellen würde ich mit PANGAEA nie und nimmer an einem Steg festmachen. Der Fähre bleibt keine andere Wahl. Geschickt fährt sie gegen die Poller und macht die Taue fest. Um das Schiff zu stabilisieren, laufen die Motoren auf vollen Touren und drücken das Boot gegen den Steg. Trotzdem hüpft es auf und ab, als wir über den schmalen Laufsteg das Schiff betreten. Wir sind froh, haben wir die Überfahrt nicht im eigenen Dingi unternommen.
 
Nach den strapaziösen, vergangenen zwei Tagen brauchen wir Erholung. Direction Island bietet alles, was wir dafür brauchen: Sand, Wasser, Wind und Palmen. Die Insel war in der Vergangenheit von grosser Bedeutung und wir hoffen davon noch einige Spuren zu entdecken. Ein kleines Netz von Pfaden durchzieht den Palmbusch. Auf einem Faltblatt, das wir in der Touristinfo entdeckt haben, sind sie eingezeichnet.
Direction Island beherbergte die ersten Menschen auf dem Atoll. Nach einem Schiffbruch campierten die Überlebenden mehrere Monate auf der Insel, bevor sie gerettet wurden. Man glaubt heute, dass die Ratten dieses Schiffes der Insel den malaiischen Namen Pulu Tikus (Ratten Insel) geben haben.
Die „Eastern Extension Telegraph Company" eröffnete 1901 eine Telegrafen-Station auf dem Eiland. Später folgten Installationen für die kabellose Kommunikation. Die SMS Emden, ein Deutsches Kriegsschiff, griff 1914 diese Station an, um sie zu vernichten. Die Funkmannschaft an Land rief die in der nähe vorbeifahrende HMAS Sydney um Hilfe. Im anschliessenden Gefecht wurde die Emden zerstört und lief auf dem 24 Kilometer entfernten Riff von North Keeling auf Grund.
Auch im zweiten Weltkrieg war die Station von wichtiger Bedeutung und konnte trotz Angriffen der Japaner seinen Betrieb aufrecht erhalten. In den Jahren 1942 bis 1969 war eine Luft-/Seenotzentrale auf der Insel untergebracht. 1966 wurde ein Teil der Gebäude nach West Island verschoben. Alle restlichen Bauten wurden mit Bulldozern ins Meer geschoben und vernichtet.
Wir folgen dem breiten Strandweg in Richtung Westen. Die „Booby Street" führt uns ins Inselinnere. Markiert ist der Weg mit an die Palmen genagelten Strandschlarpen, die hier zu hunderten an den Strand gespült werden. Eine klevere Idee. Durch dichtestes Dickicht bahnen wir uns einen Weg zur Aussenseite der Insel. Hier brandet die Dünung des Ozeans gegen den Strand. Auf dem Riff entdecken wir die Überresten der Kabelstation. Brocken von Backsteinwänden und Stahlträger sind noch zu erkennen. Bei der Vernichtung der Vergangenheit wurde ganze Arbeit geleistet.
Die Sonne berührt bereits den Horizont. Es wird höchste Zeit, dass wir uns durch den Dschungel zurück zum Ausgangspunkt schlagen. Wir haben keine grosse Lust, die Nacht zusammen mit hunderten von Krebsen im Unterholz zu verbringen. Der Treck ist oft nicht mehr zu erkennen, obwohl die Wege erst vor zwei Jahren von einem besuchenden Segler in den Busch geschlagen wurden. Wenn niemand die Tracks unterhält, werden sie in wenigen Jahren verschwunden sein.
 
Im Gegensatz zum Ashmore Reef und Christmas Island ist der Grund an unserem aktuellen Ankerplatz eine grosse, endlos scheinende Sandwüste. Nur ganz vereinzelt ist ein kleiner Korallenstock in der Tiefe zu sehen. Schnorcheln möchten wir trotzdem und wir suchen uns in der Nähe einen geeigneten Platz. Am Ostende von Direction Island hat sich Ebbe und Flut einen kleinen Pass in den Riffgürtel gefressen. Das dunkle, klar schimmernde Wasser verspricht eine faszinierende Unterwasserwelt. Die Strömung im „The Rip" ist beachtlich. Aus diesem Grund befindet sich am Ende des Passes ein Seil mit kleinen Bojen, an dem man sich festhalten und zurück zum Ufer ziehen kann.
Ich gehe zusammen mit Anina dem Rip entlang Richtung Aussenriff. Wir wollen den Pass so lange wie möglich geniessen können. Die Taucherbrillen und der Schnorchel sind montiert. Wir balancieren vorsichtig über die rutschigen Steine und lassen uns ins Wasser gleiten. Sobald wir den Kopf unter Wasser haben verschwinden die Wellen und das scheinbar tote Wasser verwandelt sich in ein riesiges, lebendiges Aquarium. Unmittelbar vor und neben uns schwimmen die unterschiedlichsten Fische.
Die Strömung erfasst uns und wir schweben einen Meter über der Unterwasserlandschaft dahin. Mit einer Hand halte ich Anina am Arm fest, damit sie mir nicht davon treibt. Ein kleiner Felsen nähert sich uns. Mit der freien Hand greife ich nach einem runden Vorsprung und halte mich fest. Ein Schwarm gelber, schwarz gestreifter „Convict Surgeonfish" schwebt an uns vorbei. Ein Pärchen „Moorish Idol" tänzelt zwischen den Korallen herum und versteckt sich blitzschnell, wenn wir unsere Hand nach ihnen ausstrecken.
Ich lasse den Stein los und augenblicklich nimmt die Strömung uns wieder mit. Wir brauchen weder Arme noch Beine zu bewegen, wir können einfach auf dem Wasser liegen, schauen, betrachten, staunen und geniessen. Plötzlich sind wir von mehreren, grossen Seebarschen umringt. Sie sind neugierig, folgen uns und kommen uns dabei sehr nahe. Mit einem halben Meter Länge und ihrem riesigen Mund flössen sie mir einen gewissen Respekt ein.
Das Wasser wird tiefer und der eigentliche Pass beginnt. Wir folgen dem linken Rand des Einschnittes. Die Riffkannte fällt senkrecht auf eine Tiefe von vier bis fünf Meter ab. Anemonen bewegen sich in der Strömung hin und her. Sie scheinen uns zu zuwinken. Unzählige weitere Korallen wachsen an der senkrechten Wand. Sie schimmern in den unterschiedlichsten Farben. Viel zu schnell gleiten wir über diese Wunderlandschaft. Wir wechseln auf das Riffplateau und augenblicklich ist vom starken Wasserstrom nichts mehr zu spüren. Wir verweilen und schauen uns um. Schmale Kanäle führen zwischen den Korallenstöcken hindurch und bilden einen unübersichtlichen Irrgarten.
Für uns kaum sichtbar schwimmt knapp unter der Wasseroberfläche eine Anzahl „Longtom". Sie sind etwa einen Meter lang, schlank wie ein Pfeil und scheinen aus Glas zu bestehen. Ihre Körper bewegen sich im Takt der Wellen hin und her. Hinter dem nächsten Korallenstock ist eine Schwarm grüner Papageienfische am „grasen". Sie beissen von Hartkorallen kleine Stücke ab und zermalmen diese. Beim Fressen entsteht ein schabendes, knackendes Geräusch. Noch nie habe ich diese Fische in so grosser Zahl beisammen gesehen.
Wir suchen uns einen Weg durch die Kanäle und befinden uns unvermittelt wieder im Pass. Die Strömung erfasst uns. Wir lassen uns treiben. Am Grund schläft ein Riff Hai, oder liegt er auf der Lauer? Ein Baracuda scheint im Wasser zu hängen. Er steht gegenüber dem Grund still, obwohl keine einzige Flossenbewegung sichtbar ist. Im Schatten eines Überhangs verstecken sich Einhornfische und „Many-Spotted Sweetlips".
Das Unterwassertal ist zu Ende und das Wasser wird zur Lagune hin wieder seichter. Wir nähern uns dem Seil. Nur mit grosser Kraftanstrengung kann ich mich daran festhalten und gleichzeitig Anina unter die Arme greifen. Die Strömung versucht immer wieder, uns vom Seil loszureissen. Endlich haben wir festen Boden unter den Füssen und waten zum Strand. Noch einmal? Anina möchte nicht. Sie ist müde und wir kehren aufs Schiff zurück. Eine Pause ist angesagt.
Mittagsstunde. Alle an Bord sind mit sich selber beschäftigt. Anina hört sich eine Geschichten-CD an. Noemi malt im Cockpit. Susan wäscht an Deck im Schwarzen Bottich diverse Kleidungsstücke aus und ich erzähle Sina in der Heckkoje eine Geschichte. Für sie ist ein Nickerchen angesagt. Plötzlich höre ich ein feines „Pling" und dann ein Aufschrei. Verblüfft schaue ich durch die Luke nach oben. Susan zeigt verstört auf ihre Hand und ich weiss was über Bord gefallen ist: Ihr Ehering!
Fünf Minuten später schwebe ich mit der in Christmas Island erstandenen Tauchflasche auf dem Rücken über die Sandwüste unter dem Schiff. Die Sonne schickt ihre Strahlen ohne Mühe in diese Tiefe von fünf Metern und der helle, weisse Sand blendet meine Augen. Wie um alles in der Welt soll ich hier einen Fingerring finden? Meine Hoffnung und Zuversicht sinkt. Unter keinen Umständen darf ich dem sandigen Grund zu nahe kommen, da ich sonst mit meinen Schwimmflossen den Sand aufwirble.
Susan konnte relativ genau sagen, wo der Ring ins Wasser gefallen ist und zum Glück schwojt PANGAEA praktisch nicht an ihrem Anker. Langsam schwimme ich über besagte Stelle und versuche mit den Augen Anhaltspunkte zu finden. Nichts. Ist der Ring in eines der Krebslöcher gefallen? Hat ihn ein grosser Fisch bereits verschluckt? Ich suche weiter. Wie aus dem Nichts aufgetaucht, liegt der Ring plötzlich direkt vor meiner Nase! Mein Herz macht einen Freudensprung. Ich greife nach ihm und gleite langsam zurück zur Wasseroberfläche. Susan traut ihren Augen nicht und weint Tränen vor Freude. Danke Gott, hast Du mir geholfen, den Ring wieder zu finden!
 
Der kräftige, konstante Passatwind hat wieder eingesetzt und wir spüren den Drang weiter zu segeln. Bevor wir in See stechen, stehen noch diverse Alltagsarbeiten auf dem Programm und ein spezieller Ausflug. Wir freuen uns schon darauf.
 
© Susan & Christoph Manhart, SY PANGAEA