Logbuch SY PANGAEA / Indian Ocean
 
Vergessen Sie alles...

04.01 - 09.01.2005

 
Welcome to the Maledives - the sunny side of the life!
 
Malediven - ein Traum in den Farben des Regenbogens, paradiesische Strände, blaue Lagunen und eine faszinierende Unterwasserwelt. Wie wunderschöne, geheimnisvolle Juwelen erheben sich die Inseln aus dem tiefen Blau des Indischen Ozeans. Aus der Luft betrachtet scheint es, als habe Gott hier tausendfach lustige grüne Kleckse mit kleinen türkisfarbenen Ringen drum herum in die tiefblaue Meerlandschaft getupft.
 
Ein weiteres Stück Paradies liegt vor uns. Nachdem die Beamten von Zoll, Hafen-, Einwanderungs- und Gesundheitsbehörden bei uns an Bord waren, haben wir grünes Licht, um maledivischen Boden betreten zu dürfen. PANGAEA liegt ruhig an ihrem Anker. Die starken Strömungen der Wasserdurchlässe im Damm können unserer Lady nichts anhaben.
Mit geübten und sicheren Handgriffen wird das Faltboot bereitgemacht und schon kurze Zeit später gleiten wir über das ruhige Wasser der nahen Hafenecke entgegen. Neugierig steigen wir aus dem Dingi, erklimmen eine rutschige Steintreppe und balancieren über die bedenklich schräg stehende, abbröckelnde Hafenmauer. Hält sie unserem Gewicht stand? Sie hält und wir gelangen sicher zur breiten Strasse.
Die unterschiedlichsten Gefährte rollen an uns vorbei: Fahrräder, Motor-Roller, Personenwagen und kleine Lastwagen, auf deren Ladeflächen oft duzende von Menschen stehen. Sind solche fahrbaren Untersätze wirklich nötig für eine Insel? Wir haben uns entschieden, Gan zu Fuss zu erkunden.
Gemäss Auskunft des Hafenbeamten gibt es auf dieser Insel alles, was wir benötigen: Supermarkt, Bank, Post, Internetkaffee, Tankstelle, usw. Was brauchen wir mehr? Vielleicht können wir heute bereits die ersten Sachen einkaufen. Wir möchten hier nämlich unsere Vorräte aufstocken, um für die Passage durch das Rote Meer gerüstet zu sein.
Eine einzige Strasse führt nach Gan. Bevor wir die Insel betreten können, müssen wir an einem Sicherheitsposten vorbei, der uns aber nicht aufhält, sondern freundlich lächelnd zuwinkt. Das Sicherheitspersonal sitzt im schattigen Büro und keines der passierenden Fahrzeuge verlangsamt seine Fahrt. Wozu dient dieser Posten wohl?
Wir schlendern an einem ersten Laden vorbei. Der Inhaber ist geschäftstüchtig und lotst uns ins Innere. Im kleinen Raum des Geschäfts gibt es alles zu kaufen, was man sich vorstellen kann: Zahnpasten steht neben Kartoffelchips, Kekse teilen sich das Gestell mit Shampooflaschen, Getränke, Waschmittel, Schrauben, Werkzeuge, Schuhe, Souvenirs, Ansichtskarten, T-Shirts, und, und, und. Vor dem Laden stehen unter einem einfachen Tisch diverse offene Farbkübel. Auf dem Tisch liegen halb bedruckte T-Shirts und kleine Schwämme, getränkt in den unterschiedlichsten Farben. Die zum Verkauf angebotenen T-Shirts werden vor Ort in Handarbeit bedruckt. Das Angebot des Ladens ist ganz klar auf die Touristen des nahen Ressorts ausgerichtet. Jeder Feriengast, der sich aus den Mauern des Ressortkomplexes wagt, muss unweigerlich an diesem Laden vorbei…
Der Besitzer will wissen, ob wir auch vom nahen Ressort kommen und aus welchem Land wir stammen. Als wir uns als Segler zu erkennen geben, geschieht ein sichtbarer Wandel mit dem guten Mann: Er kenne alle Segler, die nach Addu kommen. Er versorge alle mit frischen Früchten und allen sonstigen Lebensmitteln. Sein Hauptgeschäft liege auf Feydhoo. Er bringe uns gerne mit seinem Fahrzeug dorthin und auch wieder zurück. Kostenlos!
Hilfsbereitschaft in Ehren, doch diese Art und Weise ist uns etwas zu aufdringlich. Als wir den Besitzer auf ein bestimmtes Schiff ansprechen, welches schon oft hier war, kann er sich nicht daran erinnern…
Wir passieren ein paar weitere kleine Läden und werden jedesmal aufgefordert ins Innere zu kommen. Die erste Frage der Besitzer ist immer, die Frage nach unserem Herkunftsland. Das Angebot der Geschäfte variiert kaum. Überall wird der gleiche Mix an Gütern angeboten. Die von uns gesuchten Grundnahrungsmittel und Frischprodukte entdecken wir leider nirgends. Auf unsere Frage hin, werden wir immer auf das Hauptgeschäft in Feydhoo verwiesen, wobei es sich jedesmal um einen anderen Laden handelt.
Wir spazieren weiter. Eine alte Frau ist damit beschäftigt, das Trottoir und die Strasse mit einem einfachen Besen aus Palmblättern sauber zu wischen. Kein einziges Baumblatt bleibt nach getaner Arbeit liegen. Wir erfahren, dass mehrere alte Frauen jeden Tag dieser Arbeit nachgehen, um die Strasse zu reinigen. Jede der Damen ist für einen bestimmten Streckenabschnitt zuständig.
Immer wieder fühle ich mich beobachtet und der Eindruck täuscht nicht. Die Einheimischen starren uns regelrecht an. Es scheint ungewöhnlich zu sein, dass eine ganze Familie mit drei Mädels zu Fuss unterwegs ist. Bei einer grossen Kreuzung entschliessen wir uns, ans nahe Ufer zu gehen, um dort eine Pause einzulegen. Bei der Kreuzung sitzen einige Männer unter grossen Bäumen an kleinen Tischen beieinander und unterhalten sich. Neugierig folgen uns ihre Blicke. Kurze Zeit später sitzen diese Männer ganz in unserer Nähe bei der Ufermauer und schauen immer wieder zu uns herüber. Kein Biss unseres Zvieri wandert ungesehen in unsere Münder. Ein komisches Gefühl, angestarrt zu werden.
Auf unserem weiteren Rundgang finden wir die Bank. Leider hat das Geldinstitut bereits um 13:30 seine Pforten geschlossen und wir können kein Geld mehr in die Landeswährung tauschen. In der nahen Post können wir dafür die Briefe unserer Seglerfreunde aus Chagos auf ihre Reise schicken. Bezahlt wird mit US Dollars. Diese Währung scheint in den Malediven genau so wichtig zu sein wie der heimische Rufiya. Der Wechselkurs zwischen den beiden Währungen ist fix festgelegt.
Auch das Internetkaffee entdecken wir auf unserem weiteren Spaziergang. Wir sind froh, brauchen wir diese Einrichtung nicht, sondern können all unsere Emails von Bord aus verschicken und empfangen. Einen Supermarkt, wie wir ihn uns vorstellen, entdecken wir leider nicht. Ob es einen solchen hier überhaupt gibt?
Die Zeit vergeht schnell, wenn man an einem neuen Ort unterwegs ist und sich umschaut. Dazu kommt, dass die Sonne heiss auf unsere Köpfe brennt und die Füsse immer schwerer werden. Es wird Zeit, dass wir uns das lang ersehnte Glace leisten. Es ist gar nicht einfach, in einem der kleinen Läden eine Tiefkühlbox zu finden. Nur gerade ein Geschäft führt das von uns ersehnte kühle Gut. Wir erstehen einen kleinen Familienkübel und machen es uns anschliessend in speziellen Sitzgelegenheiten bequem: In einfache Metallgestelle sind Netze gespannt. Auf diese Weise entstehen kleine Sitzhängematten. In einem Gestell sind meistens drei oder sogar noch mehr dieser Sitzhängematten zu finden. Es lässt sich ungemein bequem darin verweilen. Der Glacetopf ist schnell von allen umringt und in Rekordzeit verschwindet der feine Inhalt in unseren Bäuchen. Diesen kleinen Luxus gönnen wir uns von Zeit zu Zeit (so alle drei bis vier Monate…).
Auf dem Rückweg zum Schiff bleibt unser Blick an einer Infotafel hängen: „Youth Talent Services" In den dazugehörigen Gebäuden werden alle möglichen Kurse für junge Leute rund ums Frisieren und Gesichtspflege angeboten. Die Neugier ist geweckt und wir schauen uns auf dem menschenleeren Gelände um. Auf der Veranda, vor einer verschlossenen Tür, stehen diverse Schlarpenschuhe. Hinter der Tür hören wir die Stimmen der Schülerinnen.
Ein paar Schritte weiter erkennen wir durch fast blinde Scheiben eine Nähstube. Das Herz jeder Schweizer Handarbeitslehrerin würde beim Anblick der Nähmaschinen höher schlagen: Original Singer-Fuss-Trett-Maschinen. Bei uns nur noch auf dem Flohmarkt oder in der Brockenstube zu finden und hier werden sie in der Ausbildung eingesetzt!
Das Gelände hat noch mehr zu bieten. Am Wasser liegt ein altes Seebad. Die Anlage ist schon lange nicht mehr in Betrieb. Die Rohrleitungen rosten vor sich hin, die Zementmauern bröckeln ab, der Springbrunnen ist leer und setzt Moos an. Warum ist dieses Bad nicht mehr in Betrieb? Es wäre so schön gelegen. Fragen sind aufgeworfen, die gerne beantwortet werden wollen.
Beim Sicherheitsposten kommen wir mit einem der Angestellten ins Gespräch. Er sitzt unter einem grossen Baum und macht Pause. Auf das Seebad angesprochen erklärt er uns, dass dieses Bad von den Engländern erbaut und benutzt wurde.
Im Jahre 1887 schlossen die Engländer mit den Malediven einen Protektoratsvertrag. Als Gegenleistung für den Schutz durch die Engländer verpflichteten sich die Malediven einen Tribut an England zu zahlen.
Die Bekanntheit des Addu Atolls ist eng mit dem Zweiten Weltkrieg verknüpft, als die Briten auf Gan einen Stützpunkt einrichteten und ganz Addu in ihre Aktivitäten mit einbezogen. In dieser Zeit kam mit dem Militär etwas Wohlstand in die Region und Gan wurde durch seinen grossen Flugplatz bekannt (grösser als der heutige Airport von Hulhule bei der Hauptstadt Male).
1965 erhielten die Malediven die völlige Unabhängigkeit und der von den Engländern bis 1976 gepachtete Luftwaffenstützpunkt auf Gan wurde aufgelöst, das Personal verliess das Atoll.
Viele der damaligen Gebäude wurden umgenutzt: Aus den Soldatenbaraken entstand das Youth Talent Services, aus den Offiziersunterkünften entstand das Equator Village Ressort und die anglikanische Garnisonkirche wurde zur Moschee. Doch einiges, wie zum Beispiel das Seebad, fand nach dem Abzug der Briten bei den Einheimischen keine Verwendung mehr und verlottert nun. Auch eine Art der Geschichtsbewältigung.
Die Briten errichteten als erste eine feste Verbindung, die Gan und die benachbarte Insel Feydhoo miteinander verband. Später wurden ebenfalls die nachfolgenden Inseln Maradhoo, Hankede und Hithadhoo durch Dämme untereinander verbunden. Durch diese breite Landverbindung ist Addu das einzige Atoll der Malediven, in dem man mit dem Auto, Bus, Moped oder Fahrrad auf einer Strecke von immerhin zehn Kilometern über vier Inseln fahren kann.
Und genau dieser Damm liegt jetzt vor uns, als wir zurück zum Dingi gehen. Unser Entschluss ist klar: Morgen werden wir über die Landverbindung auf die nächste Inseln des Addu Atolls vordringen, mit Fahrrad und Veloanhänger. Vielleicht finden wir dort unsere gesuchten Lebensmittel!
 
Es ist gar nicht so einfach, die Velos und den Anhänger die hohe Hafenmauer hinauf zu hieven. Ein paar Einheimische entdecken unser Tun und sofort werden wir von ihnen belagert. Sie wollen sehen, was wir am hantieren sind. Eine helfende Hand erhalten wir nicht. Ich versuche eine Unterhaltung anzukurbeln, doch ein Gespräch kommt nicht in Gang. Wir würden in einem solchen Moment das Weite suchen, nicht so unsere Zuschauer. Sie bleiben und schauen!
Unsere Fahrräder haben nach der langen Ruhezeit im Stauraum Rost angesetzt. Aus diesem Grund werden sie an Land als Erstes überholt, gereinigt und mit viel WD40 behandelt. Einige Kettenglieder klemmen nach der Kur zwar immer noch, aber nach ein paar hundert Metern wird sich das schon geben.
Bereits beim Zusammenbau von Velos und Anhänger werden wir mit neugierigen Blicken bedacht. Jedes Fahrzeug verlangsamt seine Fahrt und die Insassen staunen in unsere Richtung. Wann fährt der erste Roller oder Auto über den Bordstein und fällt ins Wasser? Alle Einheimischen lachen uns fröhlich entgegen und winken uns zu. Unsere fahrbaren Untersätze bringen uns auch in diesem Land den Menschen näher.
Alles ist zusammengebaut, das Gepäck verstaut, Noemi und Sina im Leggero festgeschnallt und Anina sitzt auf ihrem eigenen, kleinen Velo bereit. Es kann losgehen. Der erste Damm ist schnell überquert und vor uns liegt die Insel Feydhoo. Das Fahren ist ein Genuss. Die Strasse ist breit und der Teerbelag von bester Qualität. Kein Schlagloch, keine Unebenheit erschüttert unsere Fahrt. Auch Anina kommt auf ihrem kleinen Gefährt gut voran und manchmal habe ich Mühe, ihr mit meinem schweren Anhänger zu folgen. Die Sonne hat sich hinter dicken Wolken versteckt und hält damit ihre Hitze in Grenzen. Die Inselautobahn führt der Lagune entlang in den Norden. Angestrengt halten wir nach Geschäften und Supermärkten Ausschau.
„Da, das sieht nach dem Gesuchten aus!" Ein modernes Gebäude steht unmittelbar an der Strasse und Reklameschilder werben für Unterhaltungselektronik. Nicht genau wonach wir suchen, doch neugierig treten wir ein und erschaudern. Kalte Luft streicht über unsere schweissnasse Haut. Die Klimaanlage läuft auf Hochtouren. Wir sind die einzigen Kunden in dem blitzsauberen Geschäft. Sechs Angestellte stehen an den Scannerkassen und unterhalten sich. Sie mustern uns aufmerksam. Der Verkaufsraum ist geräumig und modern. Auf der einen Seite sind die neusten Mobiltelefone, Digitalkameras, Waschmaschinen und HiFi-Geräte ausgestellt. Am anderen Ende des Ladens finden wir Möbel, WC-Schüsseln, Spiegelschränke, usw. In der Mitte sind diverse Warengestelle in grossem Abstand zueinander angeordnet. Auf jedem Regal stehen die Produkte exakt angeordnet, jeweils zwei an der Zahl. Sogar die Etiketten der Flaschen und Tüten sind genau nach vorne ausgerichtet. Zu finden sind vor allem Getränke, Süssigkeiten, Snacks und Küchenutensilien.
Grundnahrungsmittel entdecken wir keine. Von den Angestellten wollen wir wissen, wo wir die von uns gewünschten Artikel und vor allem frische Früchte und Gemüse finden können. Sie verweisen uns auf diverse Läden oder wie sie sagen Supermärkte im Dorf.
Die nächste Querstrasse, die von der Inselautobahn weggeht, biegen wir ab und tauchen in ein Labyrinth von Strassen und Wegen ein. Die Namensschilder sind zwar schön anzusehen, für uns aber leider unverständlich. Die Schriftzeichen gleichen in keiner Weise unserem Alphabet. Wo sollen wir mit der Suche nach den genannten Geschäften beginnen? In welcher der vielen Strassen sind sie zu finden? Wir entscheiden uns für eine Parallelstrasse zur Lagune und fahren gemächlich Richtung Norden.
Wir befinden uns in einer anderen Welt. Die Strassen sind eng und unbefestigt. Die Grundstücke sind mit Steinmauern eingezäunt. Dahinter liegen kleine Gärten in denen Bananenpalmen und Mangobäume wachsen. Die Mangobäume breiten ihre Krone meist weit über die Gärten hinaus auf die Strasse aus. Leider sind die Früchte noch nicht reif.
Stein, Wellblech und Zement dominieren als Baumaterial der Gebäude. Da sind sehr alte, einfache Bauten zu sehen, deren Wände aus tausenden von kleinen Steinen aufgeschichtet sind. Gleich daneben findet sich ein moderner Betonbau mit exklusiver Fassade und extravaganter Gartenmauer. Das gleich Muster zwischen alt und modern entdecken wir bei den vielen, kleinen Läden in den Gassen. Auf einen grossen Supermarkt stossen wir nirgends, dafür entdecken wir in jedem zweiten Gebäude einen kleinen Tante-Emma-Laden.
Die einen Geschäfte sind klein und jeder Quadratzentimeter Ladenfläche ist ausgenutzt. Ein Durchkommen zwischen den Regalen ist kaum möglich und auf den Gestellen türmen sich die Produkte bis unter die Decke. Die anderen Läden sind modern, Blitz sauber und geräumig eingerichtet. Das ganze Gebäude ist meist erst vor kurzer Zeit errichtet worden und teilweise noch nicht fertig gebaut. Vor allem bei der Fassadenfarbe hat es oft nicht mehr für die ganze Fläche gereicht. Manchmal grenzt an ein solch modernes Geschäft ein alter Laden, der jetzt als Lagerraum genutzt wird.
Woher rührt dieser Unterschied zwischen alt und modern? In einem der kleinen, alten Tante-Emma-Läden sprechen wir den Besitzer darauf an. Er erklärt uns, dass viele Einheimische über Jahre hinweg bei Male in einem Ressort gearbeitet hätten und viel Geld verdient haben. Zurück auf der heimatlichen Insel, wissen diese Menschen oft nicht, was mit dem Geld anfangen. Sie bauen ein neues Gebäude mit modernem Laden und bieten hier all die exklusiven Sachen an, die sie bei den Touristen gesehen haben. In einem Geschäft finden wir Designerkleidung, das Nächste bietet alles Rund um Barbie an.
Frischprodukte sind in all den Läden leider Mangelware. Da jedes Heim einen eigenen Garten besitzt, brauchen die Menschen Gemüse und Früchte nicht im Laden zu kaufen. Mehl, Zucker und Reis wird offen verkauft. In grossen Gefässen wird diese Ware angeboten. Beim Kauf ist sicher auch lebendiges Fleisch mit inbegriffen. Bei einer Menge von 50kg Mehl, wie wir sie für die nächsten vier Monate benötigen, ist ein offen Verkauf nicht ideal. Ganze Säcke bekommen wir leider nirgends angeboten. Kartoffeln, Zwiebeln und sonstiges Gemüse entdecken wir nicht. Wir sind etwas ratlos, haben wir uns doch erhofft, auf Addu alles für unsere Weiterfahrt einkaufen zu können. Immer mehr kristallisiert sich heraus, dass wir unsere Einkäufe erst in der Hauptstadt Male tätigen können. Als wirtschaftliches Zentrum der Malediven wird es dort sicher einfacher sein, alles zu bekommen.
Wir setzen unsere Fahrt durch die Gassen des Dorfes fort. Überall treffen wir auf Menschen. Sie haben interessante und schöne Gesichtszüge. Wo sind wohl die Ursprünge dieser Menschen? Woher stammen die Malediver?
Mit grosser Wahrscheinlichkeit waren um 1500 vor Christus Singhalesen die ersten Siedler auf den südlichen Atollen der Malediven. Der Dialekt der hier heute noch gesprochen wird erinnert stark an Singhalesisch. Auch einige Gebräuche und buddhistische Funde bei Ausgrabungen deuten darauf hin.
Danach fanden zahlreiche Schiffe, die vor allem aus Westafrika und arabischen Ländern kamen und zu anderen Zielen unterwegs waren, in den Malediven einen günstigen Ort zum Haltmachen. Angezogen von der Schönheit und der Ruhe des Ortes beschlossen viele zu bleiben und bevölkerten so dieses Land. Die Malediver können somit keiner einzigen Volksgruppe zugeordnet werden. Über die Jahrhunderte hinweg hat sich ein einzigartiger Völkermix gebildet.
Die Menschen sind freundlich und wir bekommen von allen ein fröhliches Lachen geschenkt. Natürlich sind wir mit unserem knallig gelben Veloanhänger der Blickfang. Es kommt schon mal vor, dass ein einheimischer Velofahrer mitten auf einer Kreuzung anhält und uns anstarrt. Der geringe Verkehr in den Gassen lässt so ein Stopp ohne weiteres zu. Wir spüren die Blicke noch lang in unserem Rücken. Wir lassen Feydhoo hinter uns und erreichen über den nächsten Damm die Insel Maradhoo. Wir befinden uns wieder auf der Inselautobahn.
Kein Atoll der Malediven liegt südlicher als Addu, welches sich als einziges Atoll des Staates auf der Südhalbkugel befindet. Das Atoll ist etwas 18 Kilometer breit, 15 Kilometer lang und besitzt eine herzförmige Form. Auf den umsäumenden Aussenriffen erheben sich, mit Ausnahme der nördlichen Abschnitte, einige recht grosse Inseln, die auf der Westseite dicht hintereinander liegen, so dass sie fast ineinander übergehen. Das Atoll, auf dem etwa 25000 Menschen leben, besteht aus 20 unbewohnten und vier bewohnten Inseln, sowie einigen Sandbänken.
Die wichtigsten Inseln sind im Westen Gan, Feydhoo, Maradhoo und Hithadhoo, welche durch den schon erwähnten Damm untereinander verbunden sind. Alle Inseln sind dicht bewachsen, dominiert von Kokospalmen, tropischen Büschen und blühenden Stauden.
Wir wollen das kühle, schattige Wetter ausnutzen und heute bis ans nördliche Ende von Hithadhoo radeln. Die Insel ist das Verwaltungszentrum des Atolls und mit 10000 Einwohnern leben dort die meisten Menschen. Wir kommen zügig voran, legen aber immer wieder einen Stopp ein, um uns umzuschauen. Schmale Pfade führen durch grünes Dickicht an den steinigen Strand. Leider werden diese Wege von Unmengen von Müll gesäumt. Die Einheimischen scheinen diese abgelegenen Orte als Mülldeponie zu gebrauchen und darauf zu warten, dass die Vegetation den Unrat wieder zudeckt. Gibt es auf diesem Atoll keine Abfallverbrennung?
Über weite Strecken sind keine Bauten zu sehen. Unvermittelt fahren wir am Dieselkraftwerk des Atolls vorbei. Die Motoren und Generatoren arbeiten. Lärm dringt zu uns und aus den Schornsteinen steigen die Abgase in den Himmel. Zu unserer Rechten breitet sich die Lagune aus. Am Ende eines neu aufgeschütteten Dammes stehen grosse Baumaschinen. Die Arbeiten für einen neuen Containerterminal sind in vollem Gange. Auf einer Infotafel wird erklärt, was geplant ist. Nicht nur ein neuer Anleger für grosse Frachtschiffe soll entstehen, sondern die gesamte nördliche Insel soll neu gestaltet werden mit Wohnsiedlungen, Krankenhäuser, Schulen und Pärken. Ein gigantisches Projekt, welches erst in den Anfängen steckt.
Immer häufiger kommen uns Velo- oder Motorradfahrer entgegen, die in einer Hand einen oder mehrere ganze Fische halten. Alle kommen sie vom nahen Fischerhafen. Wir biegen von der Inselautobahn ab und nähern uns einem grossen Platz. Der vor kurzem niedergegangene Regen hat den unbefestigten Platz in eine schlammige Ebene mit grossen Pfützen verwandelt. In einer Ecke, nahe an der Hafenmauer, reihen sich Velos, Mofas und Motorräder aneinander. Alle Männer, Frauen sind keine zu sehen, stehen auf der Hafenmauer und nehmen vom eben festgemachten Fischerboot ihren Kauf entgegen. Ich versuche aus dem Handel schlau zu werden, sehe aber nie, wie Geld oder etwas anderes auf das Fischerboot wechselt.
Unter einem nahen, einfachen Unterstand entdecken wir ein traditionelles Fischerboot in Bau. Das etwa 30 Meter lange Schiff ist ganz aus Holz gefertigt. Im Gespräch mit den Bootsbauern erfahren wir, dass sie für den gesamten Bau etwa drei Monate benötigen. Vorausgesetzt, dass alles importierte Material vorhanden ist. Heute sind diese Schiffe alle mit Motoren ausgerüstet. In der Vergangenheit handelte es sich um Segelschiffe. Wir werden diesen Fischerbooten auf unserer weiteren Segelreise durch die Malediven sicher noch öfters begegnen.
Die Siedlung auf Hithadhoo zeigt sich ähnlich wie auf Feydhoo. Einziger Unterschied ist, dass sich mitten durch das Dorf eine fast unendlich lange, schnurgerade, breite Strasse zieht. Als Mittelstreifen sind Bäume gepflanzt, die sich in der Hitze zu behaupten versuchen und mit ihren spärlichen Blättern ein wenig Schatten spenden. In der Zwischenzeit haben sich nämlich die Regenwolken verzogen und die Sonne entfaltet ihre ganze Hitze. Immer wieder machen wir einen Stopp und betreten neugierig eines der Geschäfte. In den modernen frieren wir und werden von etlichen Angestellten beäugt, in den altertümlichen staunen wir ab der Menge von Dingen, die auf kleinstem Raum Platz finden. Sprich, die Geschäfte sehen nicht anders aus, als auf Feydhoo. Unsere Hoffnung auf frisches Gemüse und knackige Früchte verwandelt sich definitiv in Rauch.
Die unbefestigten Dorfstrassen bekommen unserem schon etwas angeschlagenen Leggero nicht und wir verlassen das Gassengewirr. Auf der geteerten Autobahn geht es wieder in den Süden und jetzt hilft uns der stetig wehende Nordwind als Rückenwind.
Während des gesamten Ausfluges haben wir angestrengt nach Zeichen und Schäden des Tsunami Ausschau gehalten, zum Glück aber nichts entdeckt. Die von uns angesprochenen Einheimischen versicherten uns, dass die Flutwelle im Addu Atoll keine Schäden angerichtet habe, ja dass nirgends das Wasser über die Ufer getreten sei.
 
Viele unsere Dieselkanister sind leer und wollen aufgefüllt werden. Auf Gan haben wir eine Tankstelle entdeckt, die nahe am Strand liegt. Ich belade das Dingi mit allen leeren Behältern und plaziere auch die Flaschen mit dem Altöl vom letzen Ölwechsel im Beiboot.
Zügig paddle ich aus dem geschützten Hafen in die Lagune hinaus. Immer schön in der Nähe des Innenriffs bleiben, damit mich keine Strömung erfasst. Der Weg geht entlang dem Ressortstrand und dann vorbei an einer grossen Mole für die Touristenschiffe. Die Tankstelle kommt in Sicht. Das Dingi ziehe ich den Strand hoch, damit die Wellen es nicht forttragen können. Die leeren Kanister sind schnell zu den Zapfsäulen getragen und gefüllt. 170 Liter Diesel haben Platz gefunden.
Auf meine Frage, wo ich mein Altöl deponieren könne, bekomme ich die schockierende Antwort: Wo ich wolle, das machen alle hier so. Das Öl werde nirgends gesammelt… Ich bin sprachlos.
Die vollen Dieselkanister und die vollen Altölbehälter sind wieder im Dingi verstaut. Es kostet mich alle Kraft, um das Beiboot wieder vom Strand hinunter ins Wasser zu ziehen. Unendlich langsam geht es den gleichen Weg zurück. Auch die letzte Hürde, mit der Strömung im Hafen, überwinde ich ohne grössere Probleme.
Der nächste Landgang steht auf dem Programm. Wir sind bereits alle an Land, als uns die dunkle, schwarze Regenwand am Horizont bewusst wird. Sie bewegt sich schnell auf uns zu. Ich habe ein mulmiges Gefühl in der Magengegend und wir beschliessen sofort zurück aufs Schiff zu fahren. Hier warten wir auf den grossen Regen und den starken Wind.
Nachdem ein paar kleine Tropfen vom Himmel gefallen sind und die dunkle Wolkenwand über dem anderen Ende des Atolls verschwindet, wissen wir, dass weder Wind noch Regen in dieser Wolkenwand gesteckt haben. Leider weiss man das im Voraus nie und somit ist Vorsicht besser als Nachsicht.
Von Gan haben wir noch nicht alles entdeckt und wir machen einen erneuten Abstecher auf diese Insel. Die Geschäfte kennen wir bereits und wir schlagen einen neuen Weg ein. Plötzlich stehen wir vor einer Schranke mit einem Lichtsignal. Vor uns liegt das Ende der Flugpiste. Hier können wir sicher nicht weiter. Doch weit gefehlt. Sofort steht einer der Sicherheitsbeamten auf, öffnet die Schranke und winkt uns freundlich durch. Wir treten in die Pedale und überqueren die Flugpiste. Kommt auch wirklich kein Flugzeug?
Die Strasse führt durch eine Allee von Fichten. Nur vereinzelt sind Gebäude sichtbar, die aber nicht mehr genutzt scheinen. Ob es sich auch um ehemalige Gebäude der Briten handelt? Bei einer Strassenverzweigung kommen wir zu einem weiteren Sicherheitsposten. Auf zwei Gartenstühlen sitzen zwei Beamte mitten im Grünen und sichern den Flughafen… Von der Flugpiste ist schon lange nichts mehr zu sehen. Wir wollen der Strasse weiter folgen, werden aber aufgehalten. In gebrochenem Englisch geben uns die zwei Beamten zu verstehen, dass Flugzeuge kommen. Also nehmen wir die Abzweigung und gelangen auf eine kleine Halbinsel, die aufs Aussenriff ragt.
Hier treffen wir auf Abfall so weit das Auge reicht. Die ganze Halbinsel ist eine Mülldeponie. Beim näheren Betrachten des Abfalls entdecken wir neue Kleidungsstücke und Tücher. Ein Blick über die Kaimauer lässt unseren Atem stocken: Alte Autobatterien und hunderte von Spraydosen liegen auf dem Grund. Erstaunlich ist, dass zwischen diesem giftigen Müll Fische herum flitzen und Einheimische hier fischen…
An einer Stelle finden wir die Überresten eines Kettenfahrzeuges. Vielleicht war das ein Panzer der Briten. Hinter ein paar Büschen entdecken wir das Kurbelgehäuse eines grossen Motors. Halb verrostet liegt es zum Teil im Wasser zum Teil an Land. Ein betrüblicher Anblick. Diese Deponie birgt vieles der Geschichte Addus ist aber noch lange nicht Vergangenheit. Während unseres kurzen Aufenthalts fährt immer wieder ein Lastwagen vor und kippt das Abbruchgut eines alten Gebäudes auf das Riff.
Zu tiefst erschüttert treten wir den Rückweg an. Beim Sicherheitsposten machen wir noch einmal einen kurzen Stopp. Unter ein paar hohen Palmen steht ein kleines Gebäude mit einem Schornstein und einem silbrigen Tank daneben. Neugierig betrete ich das offene Haus. Darin ist ein moderner Verbrennungsofen zu finden, der noch fast keinen Rost angesetzt hat. Alle elektrischen Leitung sind gekappt und der Ofen wahrscheinlich nur wenige Male in Betrieb gewesen. Auf einem Typenschild finde ich das Herkunftsland: Norway.
 
Ganz ohne Einkauf wollen wir Addu nicht verlassen. In diversen Geschäften decken wir uns mit dem Nötigsten ein: Eier, Karotten, Reis, usw. Der Besitzer des Ladens verschafft uns sogar Bananen und Papayas. Um uns von der Qualität der Produkte zu überzeugen, durchleuchtet er jedes einzelne der 36 Eier mit einer Lampe. Wozu das gut sein soll bleibt uns leider ein Rätsel. Im grossen und ganzen sind wir mit dem Einkauf zu frieden. Die nächsten Tage werden zeigen, wie frisch die Sachen wirklich sind und wie lange sie haltbar sein werden.
Es wird Zeit, wieder einmal mit unseren Lieben in der Schweiz zu telefonieren. Wir erstehen eine Telefonkarte und suchen uns eine ruhige Telefonkabine. Die Verbindung steht und es ist einfach schön zu erzählen und zu plaudern. Plötzlich wird das Gespräch durch Pipstöne gestört und kurz darauf unterbrochen. Kann es sein, dass die Karte bereits aufgebraucht ist? Ich war sicher keine fünf Minuten am Sprechen. Von Australien bin ich gewohnt, dass ich für den Betrag auf der Karte mindestens 600 Minuten telefonieren kann. Ich schiebe die Karte noch einmal in den Schlitz des Apparats. Guthaben: Null. Die Karte ist definitiv leer. Kommunikation in den Malediven scheint teuer zu sein. Bleiben wir lieber beim Emails schreiben.
Noch einmal erkunden wir die Insel Gan mit den Fahrrädern. Die Ampel steht erneut auf Grün und die Schranke öffnet sich, als wir uns der Flugpiste nähern. Wir drehen auf die Startpiste ein und geben Gas. Der wolkenlose, blaue Himmel der Malediven wartet auf uns. Wir heben ab und ein Sicherheitsbeamter auf seinem Töff holt uns wieder vom Himmel…
 
Sind wir wirklich in den Malediven? Diesem Traum in den Farben des Regenbogens, mit den paradiesischen Stränden, blauen Lagunen und der faszinierenden Unterwasserwelt? Die Antwort ist JA, ABER
 
Addu - das neue Gesicht der Malediven! Vergessen Sie alles, was Sie jemals über die Malediven gehört haben!
 
© Susan & Christoph Manhart, SY PANGAEA